Transkript der Podcast-Reihe:
Geschichten für eine lebendige Zukunft

Ich möchte eine Geschichte über das Ende der Welt erzählen. Nicht das Ende der Welt, wie wir sie kennen, eine Welt der Supermärkte und Autos, der Flugreisen und Pizzas. Sondern über das Ende eines Lichts, das die Menschheit jahrtausendelang gehalten hat. Das Licht, das den Funken in den Augen eines Kindes entzündet und die Träume der Teenager kreiert. Das Licht, das eine Symphonie oder ein Haiku-Gedicht entstehen lässt. Dies ist das Licht, das uns auf unsere langen Wanderungen über die Kontinente gebracht hat, indem es uns zu entdecken verlockte, was hinter dem Horizont lag, das uns inspirierte, Symbole zu erschaffen und das die Tollkühnen in tiefe Meditation zog, an Orte der Stille und der Leere weit jenseits des Verstands und seinen Gedanken. Dies ist das Licht, das ein Geschenk der Götter war oder, je nach Mythologie, das man von ihnen gestohlen hatte.

Hier, auf diesem Planeten, wurde dieses Licht der Götter mit dem Licht in der ERDE, dem lumen naturae der Alchemisten, verbunden. Das Licht in der ERDE half dem Leben unzählige Formen hervorzubringen – von den mikroskopisch kleinen Organismen, die ihre Spuren über dreieinhalb Milliarden Jahre hinterlassen haben, bis zur Schönheit der Flügel eines Schmetterlings, dem Rufen einer Kreischeule, dem Duft von Jasminblüten. Durch dieses Licht tanzte und sang die Schöpfung, brachte in unfassbarer Fülle hervor und drückte die sich ständig wandelnde und entwickelnde Einheit des Lebens aus. Dann, als sich das Licht von unten mit dem Licht von oben verband, wurde das menschliche Bewusstsein geboren. Und dieses Zusammenkommen, diese Vereinigung, geschah mit dem Urvertrag, auch als Ursprüngliche Weisungen bekannt: die Aufgabe dieses erwachenden Bewusstseins war, das Heilige in der Schöpfung zu erkennen und zu preisen – in Gebet und Dank zu leben.

Und so war es tausende von Jahren lang, währenddessen wir auf der ERDE wandelten, Ihre Lieder sangen und lernten, auf verschiedenste Weise zu beten. Wir alle waren Teil des Einen Lebendigen Seins, welches in unzähligen Stimmen sprach und sang. Unsere Träume waren miteinander verbunden, unsere Leben in Harmonie.

Aber dann vergaßen wir mit der Zeit, jedenfalls die Mehrheit der Menschen. Wir vergaßen diesen Urvertrag. Wir vergaßen, wie die Muster der Schöpfung in die ERDE wie auch in unsere Seele eingewoben sind. Wir vergaßen, wie wir alle diesem Einen Lebendigen Sein angehören, welches ungeteilt und heilig ist. Wir begannen unseren eigenen Weg zu gehen und zu meinen, wir seien von der Welt um uns herum, von dem Boden unter unseren Füßen getrennt. Wir glaubten sogar, wir wären höherstehend, anders als die Natur und hätten „die Herrschaft“ über die ERDE. Allmählich trafen sich das Licht von oben und das Licht von der ERDE nicht länger, tanzten nicht mehr miteinander und vereinten sich nicht mehr in unseren Herzen und Seelen. Unser Bewusstsein hörte auf, an der großen Liebesgeschichte teilzuhaben, was die Schöpfung ist.

Und jetzt verblasst eine Qualität dieses Lichts, und niemand scheint es zu bemerken. Wir schauen umher und sind dabei in den zahllosen von unserer gegenwärtigen Zivilisation erzeugten Bildern gefangen – die Bilder auf unseren Smartphones, die Werbung in den Schaufenstern – und wir nehmen nicht wahr, was fehlt: wie eine Essenz des Lebens nicht mehr vorhanden ist. Wir erinnern uns nicht mehr an das Zusammenweben der inneren und äußeren Welten und wie alles eine Botschaft und einen Sinn des Göttlichen transportiert. Erinnern wir uns doch, dann ist es nicht mehr als eine von indigenen Völkern weitererzählte oder in spirituellen Texten niedergeschriebene Geschichte. Es ist keine in unserem Atem gehaltene Erinnerung, keine, in der Weise, wie wir unsere Füße auf den Boden setzen. Es ist keine im Regen auf unserem Gesicht gefühlte Erinnerung oder im Wind, der die Zweige eines nahe stehenden Baums biegt. Wir begreifen nicht, dass wir am Sterben, dass wir Teil einer sterbenden Welt sind.

Wir haben vielleicht gehört, dass es eine ökologische Krise gibt, eine Klimakrise mit Dürren, Bränden, Stürmen und steigenden Meeresspiegeln. Wir werden vielleicht aufmerksam dafür, dass Arten aussterben, indem wir Orte ursprünglicher Natur verlieren, Wälder voller biologischer Vielfalt, Heckenreihen, wo einst Wildblumen blühten. Aber das sind nur die äußeren Zeichen eines schwindenden Lichts, einer verloren gehenden, ursprünglichen Freude, eines kaum noch vernommenen Schöpfungslieds.

Und als dieser Krieg hereinbrach – wer wusste, was er wirklich bedeutet? Es hat so viele Kriege im letzten halben Jahrhundert gegeben, mit so vielen Toten, so viel Zerstörung, immer Blut und Tränen. Aber dieser Krieg ist anders – erkennbar an der Weise, wie sein Schatten die halbe Welt überzieht. Die Leute mögen von einem Kampf für Demokratie und gegen Autokratie sprechen, Freiheit gegen Unterdrückung, Kampf für unsere wahre Menschlichkeit. Und wir können die Spaltung überall auf der Welt erkennen, sehen, wo die Geschichte vom Krieg und seinen grundlosen Grausamkeiten aufrichtig erzählt werden kann. Dies ist einer der meistfotografierten und dokumentierten Konflikte in unserer Historie über Bilder, die in den sozialen Medien, auf Tik Tok und Telegram geteilt werden. Anderen wiederum bleibt diese Wahrheit verwehrt, ihnen stiehlt man die Bilder vom Krieg, unterdrückt sie. Leichen bleiben auf den Straßen liegen und die Wahrheit lässt man sterben. Diesen Anschein hat der Krieg. Doch in Wirklichkeit hat er alles verändert; er hat die Qualität des Lichts in der Welt verändert. Er hat entschieden, wie die Zukunft tanzen wird.

Wieso jetzt, warum dieser Krieg, wenn schon so viele stattgefunden haben? Weil dies hier die Dekade ist, die über die Zukunft der Menschheit und unserer gemeinsamen Reise mit der ERDE entscheiden wird. Das ist es, was uns die Klimaforscher erzählen, insbesondere jene, die CO2-Emissionen und steigende Temperaturen beobachten – die „Jetzt-geht-es-ums-Ganze“-Dekade. Was die Wissenschaftler nicht erkennen, was ihre Instrumente nicht erfassen können, ist, wie unsere Beziehung zur Naturwelt einer größeren Geschichte angehört, der Geschichte des heiligen Erwachens in der ERDE und was dies bedeutet. Wir beginnen einige der Strukturen wechselseitiger Verbundenheit in der Natur zu entdecken und zu sehen, wie unser menschliches Verhalten dieses Zusammenspiel gefährdet hat. Aber die Art und Weise, wie sich die inneren und äußeren Welten spiegeln, bleibt ein Geheimnis.

Die meisten früheren Kulturen gründeten sich auf der Beziehung zum Heiligen, wie auch immer das seinen Ausdruck fand. Ihre Schöpfungsmythen begannen nicht mit der naturwissenschaftlichen Theorie vom Urknall, sondern mit der Gegenwart des Göttlichen, mit der Himmelsfrau, die zur ERDE fiel, oder dem Großen Geist oder den vielen Göttern und Göttinnen. Sie lebten in einer Welt, in der die numinose Wirklichkeit der inneren Welt und die Bedeutung ihrer Symbole ihren Alltag durchdrangen. Die Welt der Sinne und die Welt des Mysteriums waren Teil eines lebendigen Ganzen.

So, wie sich die Gegenwart des Göttlichen durch die Zeit entfaltete, wurden die Geschichten der Menschheit geschrieben. Sogar in Zeiten der Eroberung, wo das Göttliche durch Glaubensmuster verzerrt war, blieb doch ein Sinn für das Heilige. Die schönsten Bauten waren Tempel und Kathedralen, die Tempelanlage von Angkor Wat umfasste beinahe fünfhundert Morgen. Doch dann ging dieser Faden verloren, der Urvertrag wurde gebrochen. Das ist, wo wir heute stehen. Da wir die lebendige Verbindung mit der heiligen Natur der Schöpfung verloren haben, befinden wir uns am Rande des Abgrunds der Klimakrise und wissen nur, dass sie sich stärker beschleunigt, als wir vorauszusehen vermochten. Und da wir diesen Faden verloren haben, denken wir nur in Begriffen wie Kohlenstoffpartikel und Erwärmungsgrade und nicht an das Licht, das verloren gegangen ist, an die heilige Absicht des Lebens, die wir preisgegeben haben.

Es ist traurig und tragisch, dass wir die Zukunft und sogar die sich entfaltende Gegenwart in den Bildern unseres kleinen Geists, in den uns vertrauten Mustern wahrnehmen und deshalb nicht mehr das Buch des Lebens lesen können. Wir kennen seine Symbole nicht, unser rationales Selbst hat keinen Platz für die Zeichen, die schon um uns sind. Wir haben sogar vergessen, wie man die Muster der Naturwelt liest, den Code der Sonnenblumen-Spirale, die sich wandelnden Wolken des Formationsflugs der Stare, die Veränderungsprozesse in den Jahreszeiten, während die ERDE sich weiter erwärmt. Die Naturwelt kann das „erste Buch der Offenbarung“ sein, aber weil wir das Wissen, wie dieses Buch zu lesen ist, verloren haben, erkennen wir nicht, was geschieht. Indem wir in den Bildern der Wissenschaft denken, versäumen wir so viel, was heilig ist, sehen nicht, wie sich das, was verborgen ist, selbst offenbart. So können wir auch nicht die Muster verstehen, die sich gegenwärtig um uns herum entfalten. Und so stolpern wir blind in diese Zukunft, wo die Erzählungen der Wissenschaft und Technologie, von denen wir glauben, dass sie uns retten können, in einer Sprache geschrieben sind, die selbst zu diesem Sterben gehört und uns in diese Krise gebracht hat. Und da wir nicht erkennen, was geschieht, können wir auch nicht tanzen und auch nicht träumen. Der heilige Kreis ist längst zerbrochen.

Während die Zukunft ihren Lauf nimmt, werden Außenposten des Lichts bleiben, kleine, oft verborgene oder so normal wirkende Enklaven, dass sie niemand bemerkt, außer die Engel natürlich, die alles bemerken. Sie sehen, was unsichtbar bleibt, wo sich das Sichtbare und das Unsichtbare begegnen, wo die Samen der Zukunft gelegt werden können. Wo die Traumpfade sind. Und mit dem restlichen Licht müssen wir erkennen, was zu retten ist, welche Tugenden weiterzugeben sind, welche Träume zu unserem Schicksal gehören – was bereits geschrieben und was noch zu schreiben ist.

Es gibt eine lebendige Zukunft, die darauf wartet, aus dem sterbenden Traum zu erwachen. Es gibt einen Pfad, dem man folgen kann und Zeichen, die uns dort hinführen. Es gibt einen Ort, wo die Welten zusammenkommen und Magie entsteht. Nicht die uns betörende Magie der Computer, sondern eine näher der Erdmagie, die uns einst die Geheimnisse der Schöpfung, die Sprache der Tiere und den Gesang der Vögel zuflüsterte. Doch diese Magie wird anders sein, weil sie von außerhalb der Zeit kommt, von jenseits des Steigens und Fallens der Tide und des Kreislaufs der Jahreszeiten. Sie wird nicht nur die Namen der Schöpfung enthalten, sondern auch den Funken der Sterne. Die erwachende Welt wird so ganz anders sein, als wir uns das überhaupt vorstellen können, dann wenn sie die Augen aufschlägt nach den sich verfinsternden Jahren.

Traurigerweise wird niemand von uns, die heute leben, dieses Erwachen sehen, wenn das Lied der Schöpfung wiedergeboren wird. Aber wenn wir aufmerksam lauschen, mit einem auf die Liebe eingestimmten Herzen, können wir vielleicht seine Musik vernehmen – verborgen noch, wie ein Keim, einem Flötenklang gleich, getragen auf einem fernen Wind. Wir spüren vielleicht, dass es einen anderen Weg des Daseins gibt, das nicht auf Auseinandersetzungen oder Machtträumen basiert, sondern wo Seele und Sinne im Einklang sind und Gegenwärtigkeit keine spirituelle Praxis verlangt, sondern eine einfache Lebensweise ist.

Beobachten wir, wie die Bomben und Raketen die Städte der Ukraine zerstören, können wir die Akte dieser Finsternis sehen, wie sie eine Lebensweise, ein ganz normales Leben vernichtet – die Kinder zur Schule bringen oder zum Spielplatz, mit Freunden bei einem Glas Wein in einem Café sitzen. Wir können die Macht wahrnehmen, die unser gemeinsames Menschsein verrät. Und wir können erkennen, was das Leben uns erzählen will, wie das alles Teil unseres kollektiven Schicksals ist, die Geschichte von Flüchtenden in Asyl-Unterkünften, von Tränen und Freundlichkeit. Der alltägliche Kampf ums Leben inmitten von Ruinen.

Im Augenblick müssen wir abwarten und beobachten, die wachsende Finsternis zur Kenntnis nehmen und das noch verbleibende Licht; den Traum, der am Sterben ist und einen Traum, der darauf wartet, in die Welt zu kommen. Wir müssen die Fäden der Liebe, die uns verbinden, und die Handlungen der Fürsorge und Großzügigkeit, die diese Liebe ausdrücken, bewahren. Im Lauf der nächsten Jahre wird die Verfinsterung ihre Geschichte erzählen, die Geschichte einer Welt ohne Fundamente und einer Klimakatastrophe, erzeugt durch unsere eigene Gier. Wir werden erleben, wie unsere derzeitige Zivilisation zerfällt, und uns fragen, ob es nicht anders hätte kommen können.

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