Transkript der Podcast-Reihe:
Geschichten für eine lebendige Zukunft

 

Im vorigen Podcast habe ich über den Wert des Betens als Antwort auf unsere gegenwärtige Zeit der Verfinsterung und der ökologischen Krise gesprochen. Das bringt mich dazu, einen Vortrag zu teilen, den ich vor einigen Jahren anlässlich eines Gebetssymposiums in der Church of Religious Science hielt: „Mystisches Beten in der Tradition der Sufis und der Christen.“ Am Ende des Vortrags schloss ich ein Gebet für die Erde mit ein.

Wie ich am Beginn des Vortrags erwähne, zieht es mich in den letzten Jahren mehr und mehr zum Beten. Zum jetzigen Zeitpunkt meiner Reise erinnere ich mich häufiger an Prosperos‘ Worte am Ende von Shakespeares‘ letztem Stück: Der Sturm , wo der Magier sagt, er würde seinen Stab brechen und sein Buch ins Wasser werfen, und schließlich: „Verzweiflung ist mein Lebensend, wenn nicht Gebet mir Hilfe bringt.“

Während ich erfahre, wie unsere Welt immer düsterer wird und selbstzerstörerischer, zieht es mich stärker ins Gebet als Zuflucht und Antwort. Gebet ist, wie der erste Schrei eines neugeborenen Kindes oder wie der letzte Atemzug eines sterbenden Menschen, die wesentlichste Antwort des Herzens und der Seele. Es führt uns zu der einzigen Verbindung zurück, die uns wahrhaft erhält.

 

(Der Vortrag)

In den letzten Jahren hat es mich immer tiefer ins Gebet gezogen. Seit fast fünfzig Jahren praktiziere ich spirituelle Übungen, aber ich stelle fest, dass mich das Beten tiefer und tiefer  in mich hineinnimmt, in diese Beziehung, in diese Kommunion, in diesen heiligen Raum, der für die Sufis innerhalb des Herzens ist, wo ich mit meinem Geliebten, mit Gott, mit dem Einzigen sein kann, wie auch immer man ES ruft, Das jenseits aller Namen ist. Und ich will dieses Sufi-Gebet erkunden, dieses Gebet der tiefen Stille, der tiefinneren Kontemplation, doch erst einmal möchte ich betonen, dass es viele, viele verschiedene Formen des Gebets gibt. Wir haben vorhin gerade den Gebetsruf gehört, wir haben eben die herrliche Musik, die die Seele berührt, gehört, die das Gebet des Geistes ist, welcher nach Gott schreit. Und wie Rumi sagt: „Es gibt tausende von Wegen, niederzuknien und den Boden zu küssen.“ Es gibt viele, viele verschiedene Formen des Gebets. Ich bin in der christlichen Tradition mit dem Vaterunser aufgewachsen, das ein sehr, sehr schönes Gebet ist, und auch heute noch meditiere ich oft über eine bestimmte Zeile darin: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden“ , um den Geist, den Segen, die Führung und die Macht des Göttlichen in unser Leben hier zu rufen, dem leider oft diese Gegenwart zu fehlen scheint, diese Macht, diese Führung; oder sie ist vor uns verborgen; nicht dass sie fehlt, doch sie ist oft verdeckt. Und im Kern des Gebets ist wirklich der Schrei des Einzelnen – ich habe das Gefühl, Beten kommt wirklich aus einem Bedürfnis, wir brauchen, wir sind die, denen gegeben wird, und wir brauchen – und Beten, das aus dem Herzen schreit, das zu Gott schreit, das zu diesem außergewöhnlich herrlichen Wesen schreit, kommt aus unserer tiefsten Not…mit dieser Einheit zu sein, der wir wahrhaft angehören.

Es gibt also viele, viele verschiedene Formen des Gebets. Und bevor ich hier hereinkam, habe ich ein wunderbares kleines Buch über das Beten von Ernest Holmes gelesen. Und eine Sache, die wir in diesen beiden mystischen Traditionen sehr gemeinsam haben, ist, dass wir Gebete fürs Heilen benutzen. Das ist etwas, das wir in unserer Gemeinschaf tun, bevor wir ins tiefe Gebet, in tiefe Meditation gehen: Wir beten für diejenigen, die in Not sind. Ich glaube stark an die Macht von Gebeten. Wir fangen einfach an und bitten darum, dass diejenigen, die Heilung brauchen, geheilt werden, und es gibt einen Sufi-Ausspruch: „Wenn das Herz das Gebet gehört hat, hat Gott das Gebet gehört“, es ist der Ort der unmittelbaren Verbindung. Wir Sufis sind als die Liebenden Gottes bekannt, das ist sozusagen unsere Seelenaufgabe; unsere größte Bestimmung unseres Hierseins ist, Liebende Gottes zu sein, ein Ort, wie der mystische Dichter William Blake es ausdrückt: „Und ich bin auf Erden ein kleiner Raum zu lernen, die Strahlen der Liebe zu ertragen.“ Und es ist wirklich unsere Berufung, dieses Zusammenkommen mit dem Göttlichen zu leben, im Alltag und in unserem Gebet.

Jetzt zum Gebet, über das ich heute sprechen möchte, das ich das Herzensgebet nenne. Es ist auch in der christlichen mystischen Tradition sehr präsent, besonders durch die im 16. Jahrhundert lebende Mystikerin, die hl. Teresa von Avila. Wenn jemand die Gelegenheit hat, es zu lesen, sie schrieb das wahrscheinlich detaillierteste Handbuch über das mystische Gebet. Sie nannte es das Gebet der Ruhe. Es ist diese Tradition, in die Ruhe zu gehen und in Gott in Ruhe, in Stille gegenwärtig zu sein. Und das ist wirklich der Kern des speziellen mystischen Gebets, das mich anzieht, einfach nur an einem Ort des Lauschens zu sein. Das nennt man göttliche Empfänglichkeit. In unserem Herzen gegenwärtig zu sein und zu Gott zu horchen. In unserem Herzen in Stille gegenwärtig zu sein und zu warten, Geduld zu haben, ein ruhiger Ort für den Geliebten zu sein. In unserer heutigen Kultur werden wir leider fortwährend mit Geräuschen und Bildern bombardiert, die in unser Bewusstsein dringen, ob wir es merken oder nicht. Und für mich ist es Teil der Grundlage spiritueller Praxis, mystischer Praxis, einen Raum zu schaffen, wo wir lauschen können, wo wir benutzt werden können, „ich bitte nicht darum zu sehen, ich bitte nicht darum zu wissen, ich bitte nur darum, benutzt zu werden“. Und ich glaube, es ist gut, genau mit diesem stillen Raum des Lauschens zu beginnen. Man lauscht mit den Ohren, und zwar innerlich, was die Sufis das „Ohr des Herzens“ nennen. Das Herz ist ein ungewöhnliches Bewusstseinsorgan. Da gibt es noch das „Auge des Herzens“, das die Einheit in allem sieht. „Wenn dein Auge einzig ist, dann wird dein ganzer Körper voller Licht sein.“ Und dieses „Ohr des Herzens“ ist es, das die stille, feine Stimme Gottes vernimmt, das das Göttliche zu uns sprechen hört. Und in der Tat spricht Rumi, der mystische Sufi-Dichter, darüber, wenn er schreibt:

„Mach alles in dir zum Ohr, jedes Atom deines Wesens, und du wirst in jedem Augenblick hören, was die Quelle dir zuflüstert, nur dir und nur für dich, ohne dass du meine Worte oder die von anderen brauchst. Du bist – wir alle sind – der Geliebte des Geliebten, und in jedem Augenblick, in jedem Ereignis deines Lebens flüstert dir der Geliebte zu, was du hören und wissen musst. Wer kann je dieses Wunder erklären? Es ist einfach. Lausche, und du wirst das in jedem flüchtigen Augenblick erfahren. Lausche und dein ganzes Leben wird zu einer Unterhaltung in Denken und Handeln zwischen dir und Ihm, unmittelbar, wortlos, jetzt und immer.“ 

Das ist das innere Lauschen des Herzens, das Herzensgebet, das wirklich, nach Jahren der Praxis, schließlich zu einem stetigen Dialog mit dem Geliebten, mit Gott wird. Wir sind immer mit unserem Geliebten zusammen, mit dem Göttlichen in unserem inneren und äußeren Leben. Wir sind die Geliebten unseres Geliebten. Das ist eine der Kernlehren der Mystik. Wir werden mehr von Gott geliebt als wir wissen – endlos, süß, zärtlich. Leider sind wir in unserer jetzigen Welt zu beschäftigt, um es zu merken, zu beschäftigt, es zu leben. Deshalb sind Zusammenkünfte wie diese hier so wertvoll, weil sie uns wieder zu diesem Geheimnis zurückholen, diesem Geheimnis der Liebe, diesem Geheimnis, mit unserem Geliebten in Stille und Liebe zusammen zu sein, was immer in der äußeren Welt geschieht. Und wie ich sagte, schließlich wird es zu diesem Dialog der Liebe, dem Dialog vom Liebenden und Geliebten.

Ich begann mit dieser Praxis, als ich neunzehn war, und viele Jahre habe ich einfach nur in Stille gesessen. Dann, Jahre später, entdeckte ich eine sehr ähnliche Praxis in der christlichen Mystik, was mich überglücklich machte, weil es ja in unserer Welt so viel Trennung gibt, wir gehören zu diesem, wir gehören zu jenem, und inzwischen hat sich das leider in unserer Welt noch mehr herauskristallisiert. Und das dann an der Wurzel so vieler mystischer Traditionen, so vieler mystischer Lehren zu finden, dass es dasselbe ist; es ist derselbe Gott, es ist dasselbe Herz, die Menschen in ihrer Essenz sind ein und dasselbe, auch wenn es oberflächlich gesehen anders zu sein scheint.

Aus diesem Grund habe ich das kleine Buch Das Herzensgebet geschrieben, um diese Einheit aufzuzeigen, die zu diesen mystischen Traditionen gehört. Und ich möchte euch zeigen, wie die Sufi- und die christlichen Lehren miteinander verschmolzen sind – und dies besonders am Beispiel der christlichen Mystikerin, der hl. Teresa von Avila. Und ich möchte vorausschicken, dass die hl. Teresa, die viele Frauenklöster gründete, eine sehr praktische Mystik lebte. Ihr wird der Ausspruch zugeschrieben: „Wenn du Haferbrei isst, dann iss Haferbrei. Wenn du betest, dann bete.“ Und sie spricht von den Stufen des Betens, und ich denke, das ist wichtig, um zu verstehen, wie man tiefer ins Gebet geht, wie man tiefer in die Stille kommt. Und hier zitiere ich sie, ihre Worte über das mystische Beten, das sie das Gebet der Ruhe nennt. Sie sagt: „Die erste Stufe ist Sammlung: sich auf Gott auszurichten, sich auf diesen Geist zu sammeln, eine Verbindung herzustellen.“ Eines der größten Mysterien des Menschseins – und auch nach einem halben Jahrhundert auf dem mystischen Pfad, habe ich noch nicht einmal angefangen zu verstehen – ist, dass wir erfahren, von Gott getrennt, von der Quelle getrennt zu sein, und dabei können wir niemals von der Quelle getrennt sein. Uns allen wohnt nur der Eine Geist inne. Es gibt nur Ein Wesen, von dem jede und jeder von uns ein Ausdruck ist, eine lebendige Verkörperung. Wir alle tragen einen Funken des Einen göttlichen Lichts in unserem Herzen, in unserem Wesen. Doch am Anfang dieser Übung ernsthaften Betens geht es darum, eine Verbindung mit dieser Einheit, mit dieser lebendigen Gegenwart zu schaffen. Und, Freunde, das ist harte Arbeit, wie viele von euch wissen. Besonders heutzutage, wo wir in einer Kultur leben, die Beten für nichts Besonderes hält, die nur die Ablenkungen feiert. Wie uns gezeigt worden ist – wir mussten die Handys ausstellen, damit wir reinkonnten – um uns daran zu erinnern, die Ablenkungen abzustellen, die uns verschlingen.

Der Anfang des Betens ist also, wieder diese Verbindung zur Quelle zu schaffen, alle Gedanken, alle Emotionen auf die Seite zu tun. So wie ihr eure Schuhe auszieht, um in die Gegenwart Gottes zu treten, so legt ihr auch alle Ablenkungen des Lebens beiseite, um in den stillen Raum in euch selbst einzutreten, wo ihr allein mit Gott sein könnt. Und die hl. Teresa, praktisch wie sie war, gab ein Bild für diese Arbeit vor und sagte, es sei wie das Bewässern eines Gartens. Und die erste Stufe ist, dass der Gärtner zum Brunnen gehen, den Eimer mit viel Mühe hochziehen, ihn in den Garten tragen und die Pflanzen gießen muss. Das ist eine Menge Anstrengung. Und diese erste Stufe des Betens ist mühevoll, aber auch sehr lohnend, wie viele von euch wissen. Diese innere Beziehung in Stille tief im Herzen, des Betens, des Zusammenseins mit Gott, mit eurem Geliebten zu sein, mit dem Einen, der euch auf viel mehr Weisen erhält, als ihr es wisst.

Und die zweite Stufe ist dann die Stufe der Ruhe. Du kommst an einen Ort in dir, wo du ruhig sein kannst. Das scheint sehr einfach, aber meine Lehrerin sagte, „Mystiker lehren einfache Dinge, aber diese einfachen Dinge können das Leben von Leuten verändern.“ Also zu lernen, innerlich ruhig zu sein, still. Nur zu lernen, in einem Raum innerlicher Empfänglichkeit zu sein, was die göttliche Empfänglichkeit genannt wird, die still ist. Und es ist da, wo das wahre Wunder mystischen Lebens stattzufinden beginnt, wenn du den innewohnenden Geist erfährst, der dich durchströmt, der in dir lebendig wird. Die Sufis haben diesen Ausdruck „mit Gott schwanger sein“, in der Krippe deines Herzens, in diesem ruhigen inneren Raum, ereignet sich in dir das Wunder der göttlichen Geburt. Und wir alle haben diese Momente, wo uns das passiert. Ich erinnere mich noch, wie ich das zum ersten Mal erlebte, ich lag damals still im Gebet im Haus meiner Lehrerin, und dann fühlte ich plötzlich Schmetterlingsflügel am Rand meines Herzens. Ich kann es nicht anders beschreiben. Ich hatte noch nie solch eine Liebe erfahren. In wenigen Augenblicken war jede Zelle meines Körpers einfach nur mit Liebe erfüllt. Das ist der Geist, der in uns arbeitet, auf geheimnisvollste, intimste Weise. Und das ist wie … ja, ich würde sagen, jene erste Liebe, jene erste Berührung vom Geliebten in deinem Herzen, dieser erste Moment, wenn du anfängst, die Wirklichkeit von dem zu spüren, was es heißt, in der Gegenwart Gottes zu leben – berührt von dieser unendlichen, süßen Liebe, die dem Herzen angehört. Und sie kann nur kommen, wenn der Raum bereitet ist. Sufis sind in ihren Schriften oft sehr erotisch, weil diese Liebende- und-Geliebter-Beziehung sehr erotisch sein kann. Es ist also, als würdest du ein Schlafzimmer vorbereiten. Du willst bestimmt nicht, dass der Geliebte hereinkommt, wenn noch totale Unordnung auf dem Boden ist, deine Kleidungsstücke überall herumliegen. Du schaffst einen Raum innerer Ruhe, friedlich und still, und früher oder später wird er wie eine Zuflucht – Beten ist für mich eine Zuflucht, es ist ein Ort, mit meinem Geliebten zu sein.

Eine meiner Lieblinge unter den Sufis lebte sehr früh, sie hieß Rabi’a. Sie kam in einer armen Familie zur Welt und wurde schon sehr jung als Sklavin verkauft. Sie hatte diese tiefe, tiefe Hingabe an Gott. Und sie betete des nachts, sie verbrachte ihre Nächte im Gebet. Und eines nachts kam ihr Besitzer und sah dieses Licht mitten in der Nacht unter ihrer Tür hervorscheinen, und er dachte, was tut sie da und verbraucht meine Kerzen? Und er öffnete die Tür, und da war sie, im Gebet, und das Licht des Geliebten umfloss sie. Da gab er sie aus der Sklaverei frei, und sie ist tatsächlich eine der ersten Sufis geworden, die deutlich über die Liebesgeschichte mit Gott gesprochen haben. Und sie schrieb Gedichte, die sie vor langer, langer Zeit hinterließ. Eine der ersten großen Sufi-Frauen. Und eines darunter, das mich sehr berührt, ist:

„O Gott, die Sterne leuchten,
Alle Augen haben sich im Schlaf geschlossen;
Die Könige haben ihre Tore verriegelt.
Jeder Liebende ist allein, im Geheimen, mit dem, den er liebt.
Und auch ich bin hier: allein, verborgen vor allem –
Mit Dir.“

Und das ist diese Qualität des mystischen Betens. Ich erinnere mich noch, als meine Kinder klein waren – jetzt sind sie erwachsen und ich habe Enkelkinder –, da war das Leben voll ausgefüllt, sehr hektisch. Ich war Lehrer an der Schule. Dann kamen diese gesegneten Momente gegen acht, halb neun, die Kinder wurden dann müde. Meine Frau schlief meist beim Vorlesen auf dem Bett meiner Tochter ein, und ich las meinem Sohn am Bett vor, und als er dann eingeschlafen war, kamen diese besonderen Augenblicke des Tages, denn mein Sohn wurde immer früh schon wach, gegen fünf Uhr morgens und meldete sich. „Hey, Papa, lass uns den Tag anfangen.“ Und ich erinnere mich, wie ich früh zu Bett ging, das Gesicht zur Wand drehte und nach innen in mein Herz ging, um mit meinem Geliebten zu sein. Dieser Ort der Ruhe, dieser Ort der Gegenwärtigkeit, dieser Ort des Betens.

Für mich ist das Gebet… ja, viele Male habe ich in der Nacht verzweifelt gerufen, um Hilfe gebetet, um Verständnis, um Mitgefühl, mir doch in diesem Labyrinth des Lebens zu helfen. Mir zu helfen, näher zu kommen, mir wegen der Fehler, die ich gemacht habe, zu helfen. Und das sind Gebete, die alle von uns in der einen oder anderen Zeit herausschreien. Wir sind bedürftig, wir sind schwach, wir brauchen Hilfe. Und einige Leute haben mir gesagt: „Aber warum soll ich Gott belästigen? ER ist so beschäftigt. ER hat viel wichtigere Dinge zu tun.“ Und ich sage dann, aber ER liebt es, gebeten zu werden, ER liebt es, gebraucht zu werden. Das ist das einzige, was ER nicht hat, SIE oder ES nicht hat – es gibt dort kein Geschlecht – dieses Eine Wesen hat alles, alle Macht und alle Weisheit. Was ES nicht hat, ist menschliche Not. Was ES nicht hat, ist Verzweiflung. Was ES nicht hat, ist Sehnsucht. Und das ist unser Beitrag, wir rufen nach Gott, und in diesem Rufen liegt ein mystisches Geheimnis. Wie Rumi sagt: „Wir sind intim jenseits aller Vorstellung.“ Und diese Gefährtenschaft ist so wertvoll für den Mystiker, sie ist so …sie bringt uns durch den Tag. Wie gesagt, ich bin jetzt älter, ja, ich habe mehr Zeit – und eines, was ihr vielleicht gemerkt habt, als ihr älter wurdet, man liegt nachts öfter wach. Und das ist solch eine Gelegenheit, um ins Herz zu gehen und zu beten, mit dieser innewohnenden Präsenz in Stille zusammen zu sein. Ja, manchmal bitte ich noch, rufe, aber viel öfter ruhe ich in der Stille. In diesem Raum, der Gott gehört, in einer Welt, die aus irgendeinem merkwürdigen Grund Gott offenbar vergessen hat. Für uns alle, die sich zum mystischen Leben hingezogen fühlen, ist das eines der Kreuze, die wir zu tragen haben – dass wir in einer Kultur leben, die wirklich zum großen Teil Gott vergessen hat. Und es ist unsere Bestimmung zu erinnern und an einem Ort des Erinnerns zu sein. Und für mich ist das stille Gebet im Herzen ein Ort des Erinnerns – es ist ein Ort der Ruhe, ein Ort, mit Gott zu sein, ein Ort, sich Gott in Stille hinzugeben, in der Vollständigkeit der Stille. So wie in unserem menschlichen Liebesspiel, anfangs flüstern wir noch süße Worte in das Ohr unseres Geliebten, aber wenn wir tief in das Liebesspiel genommen werden, schließen wir die Augen und geben uns in Stille hin, bis zum abschließenden Schrei. Das ist die zweite Stufe des Betens, das Gebet der Ruhe.

Und wie im letzten Bild angedeutet, geht es zur dritten Stufe des Betens, der Vereinigung. Und das ist eines der größten Geheimnisse des mystischen Betens, der großen Geheimnisse des Menschseins, dass wir mit dem Gefühl, eine getrennte Person zu sein, beginnen – wir tragen unsere Kämpfe aus, wir stehen auf eigenen Füßen, wenn wir stark genug sind. Aber der Mystiker wird schließlich tief ins Herz genommen, an den Ort der Vereinigung. „Ich bin Der, den ich liebe, Der, den ich liebe, ist ich.“ Wir werden zu dem Ort dieses unglaublichen Einsseins genommen. Wir lösen uns in der Liebe auf, wie Rumi sagt: „wie Zucker im Wasser“. Und das ist in allen mystischen Strömungen gleich. Wir haben über das äußere Einssein gesprochen, dies ist das innere Einssein. Das ist, worüber die hl. Teresa spricht und worüber die Sufis sprechen – dieses Geheimnis, in das wahre Einssein tief im Herzen einzutauchen, zu verschmelzen, das ist wirklich unser menschliches Erbe, wir sind eins mit Gott. Wir sind es immer gewesen und wir werden es immer sein, denn es gibt nur dieses Eine Wesen, das uns in Seiner außergewöhnlichen Großzügigkeit… dieses Wunder …  das Leben gegeben hat, die Erfahrung unseres individuellen Selbst gegeben hat, das wir dann an Gott zurückgeben. Und wir können es durch Handlungen des Dienens in der äußeren Welt zurückgeben. Wir können es zurückgeben, indem wir Teil einer Gemeinschaft sind, wie hier, die Gott mit Singen, Musik und Gebet erinnert. Und wir können es tun, indem wir unser Herz innerlich unserem Geliebten schenken, in Stille, und dann genommen werden. Wie alle Liebenden wissen, man wird genommen… man geht in der Liebe verloren. Das ist das letzte Stadium des mystischen Betens, diese Vereinigung mit Gott. Und es ist … manchmal ekstatisch, manchmal süß, und manchmal kommt man aus dem Beten, und man weiß nicht, wo man gewesen ist. Du weißt, du bist irgendwo gewesen, aber du weißt nicht, wo… Und das ist die Stille des Geliebten, die uns heimnimmt, die uns in dieses Einssein der Liebe nimmt. Man kann dies auf verschiedene Weisen beschreiben, aber – wie wieder der Sufi-Dichter sagt: „Sie sind wie Fußspuren im Sand, die zu des Wassers Saum führen.“ Gehst du in den Ozean des Einsseins, in den Ozean der Liebe, gibt es keine Worte mehr – du wirst tiefer und tiefer und tiefer in das Einssein mit deinem Geliebten genommen, du gehst mehr und mehr in der Liebe auf. Und dann kommst du zurück… verwirrt, du weißt nicht, wo du warst, aber etwas in dir hat sich verändert, weil du die Wahrheit deiner eigenen göttlichen Natur geschmeckt hast. Und das, indem du nur innerlich still in dir gewesen bist.

Wie ich anfangs sagte, du musst arbeiten – du musst das Wasser aus dem Brunnen hochziehen, du musst Stille praktizieren, du musst alle Gedanken beiseite tun. Aber dann, auf der letzten Stufe des Betens, regnet es einfach, wie die hl. Teresa sagt. Das ist, wie ich es gestern in meinem Garten erlebt habe. Ihr kennt das, nach einem Sommer, wo ich ständig alles gießen musste – die Gemüsepflanzen so regelmäßig wie möglich, dafür sorgen, dass alles genug Wasser bekam – da, plötzlich brauche ich für den Rest des Jahres nichts mehr zu tun. Es regnet! Und so ist es auch, wenn dich das Beten in sich selbst nimmt. Das ist, wenn du von Gott zu Gott genommen wirst, du wirst von der Liebe zur Liebe genommen. Und dann gibt es kein Zurück mehr. Und das einzige Wunder ist, warum die Leute nichts davon wissen. Wie können sie nur, wie die Sufis sagen, „vor dem Schleier“ leben, dieses innere Geheimnis nicht kennen, das in allen von uns darauf wartet, gelebt zu werden?

So, das ist es, was ich mit euch teilen wollte, einen kleinen Geschmack vom Sufi-Beten, das es auch in der christlichen mystischen Tradition gibt, dieses Gebet der Ruhe, an einem uns innewohnenden Ort der Stille zu sein, damit Gott kommen kann. Das beginnt damit, zu lauschen und die Gedankenformen beiseite zu tun, das Handy auszuschalten. Und dann in dieses Geheimnis tief in dir selbst genommen zu werden, das so unendlich kostbar ist und wirklich das größte Wunder des Menschseins. Von der Stille, von der Liebe in diese Tiefen genommen zu werden, was das Einssein mit allem ist – und dann kommt dieser Augenblick, wo du eins bist mit allen Sternen, mit allen Sonnenuntergängen und allen Träumen und allen Menschen auf der ganzen Welt. Alles ist eins, alles wohnt in dir, denn es gibt nichts außer Gott.

Und ich möchte dem noch etwas hinzufügen. Ich habe am Anfang die Wichtigkeit von Gebet und Heilung erwähnt, und ich habe das in unserer Gemeinschaft erlebt, die Macht des Betens für Heilung – wie es Leuten unerwartet besser ging. Ich kann viele, viele Beispiele nennen. Aber ich habe das Gefühl, in unserer gegenwärtigen Zeit gibt es noch etwas anderes unendlich Wertvolles, das Heilung braucht – die Erde, ob es nun unsere MUTTER ist oder die Schöpfung, die uns das Leben schenkt, Luft schenkt, Wasser, Nahrung, Kinder, die uns diese ganze wunderbare Erfahrung schenkt. Sie wird verwüstet. Unsere Kultur zerstört sie, misshandelt sie auf schreckliche, schreckliche Weise. Und das ist eines der großen Betrübnisse – trotz allem, was mir mystisch gegeben wurde, all die Gnade Gottes, die ich erfahren durfte – bleibe ich oft mit dieser Trauer zurück, was wir diesem wunderschönen, wunderschönen Planeten antun. Er ist doch so schön. Und diese ersten Bilder von den Astronauten im Weltraum – dieser eine, lebendige blaue Planet, das ist solch ein Mysterium, solch ein Wunder, der in unsere Obhut gegeben worden ist, und wir zerstören ihn. Und so habe ich es in die Praxis aufgenommen – in meine Praxis und in die Praxis, die ich lehre – die Erde in unsere Gebete einzuschließen. So wie wir für einen kranken Freund, eine kranke Mutter beten würden, schließen wir die Erde in unsere Gebete ein – auf die einfache Art und Weise, Sie als Lebewesen in unser spirituelles Bewusstsein aufzunehmen und Gott darzubringen. Das ist es, was die Sufis das Erinnern des Herzens nennen: im Herzen erinnern wir uns in Gott an Sie. Vergessen ist, wie ich immer sehe, so giftig. Wenn wir unsere spirituelle Natur vergessen, wenn wir Gott vergessen…Erinnern ist so heilig. Und Beten ist unendlich machtvoll, wir erinnern Sie zu Gott hin; Sie braucht unsere Gebete, Sie braucht die göttliche Liebe. Wie Joanna Macy es ausdrückt: „Sich wieder in die Erde verlieben.“ Sie braucht dieses sich Verlieben in Sie.

So, Freunde, ich möchte euch jetzt für kurze Zeit ins Beten führen. Und zunächst einmal ist es wichtig, dass es angenehm für den Körper ist, der Körper sollte einfach entspannt sein. Und wenn nötig, nehmt ein paar tiefe Atemzüge, um zu eurem ureigenen inneren Rhythmus zurückzukehren, nur das simple Ein- und Ausatmen, das euch entspannt. Und dann suchst du in dir diesen Ort der Stille. Für die Sufis ist er im Herzen – denn wir arbeiten mit dem Herzen, wir arbeiten mit der göttlichen Liebe tief innen im Herzen, das geschieht mit dem Fühlen. Was immer deine spirituelle Praxis sonst ist, gehe zu diesem Ort tief in dir und bleibe in Stille in diesem dir innewohnenden heiligen Raum, im Tempel deines eigenen Seins. Und suche nicht nach etwas draußen, sei nur einfach da in Stille. Und in einem Augenblick lässt du alles zurück und gehst tiefer in diese Stille, tiefer in diese Liebe, tiefer in diese Erfahrung des Göttlichen in dir. Doch zuvor nimmst du in dich, in dein Herz, die Erde auf als ein Lebewesen, als ein einziges lebendiges Sein, was Sie ist. Und bringe Sie Gott dar, gib Sie an Gott, dieses Eine Wesen, das unseren Atem lenkt, unsere Tage lenkt, gib Sie in diese intime Verbindung, die wir alle mit der Quelle haben, mit dem Geliebten, mit dem Einen. Bringe Sie für einen Augenblick Gott dar, und dann gehen wir tiefer in die Stille, an diesen Ort der Ruhe in uns, in die Stille, mit Gott zu sein.

 

 

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