Transkript der Podcast-Reihe:
Geschichten für eine lebendige Zukunft

Auf meinem Weg durch das Feuchtland stoße ich auf eine Familie von Flussotter, die im Wasser spielen, dann ihre geschmeidigen Körper an Land schieben und im Sand durcheinanderpurzeln, während ein Blaureiher nahebei sie beobachtet. In ihrer ursprünglichen Welt gibt es weder wahr noch falsch, nur Leben – einfach da und ungebrochen. Einst, vor langer Zeit, wanderten wir durch diese Landschaft, waren Teil dieser Ökologie der Umgebung. Wir waren mit Gesängen und Gebeten, mit Tänzen und Träumen in der Ganzheit des Lebens ebenfalls lebendig. Doch heute ist unsere Menschenwelt nicht mehr so, dieses Bewusstsein längst verloren, und nur noch von einigen indigenen Völkern und anderen, die eng mit der ERDE verbunden leben, wird es gehalten. Und in jüngster Zeit haben die sozialen Medien den Lärm der Zwietracht und Verzerrungen, der Halbwahrheiten und Falschmeldungen und Verschwörungstheorien verstärkt. Unser kollektives Bewusstsein ist zersplittert, verschiedenste Stimmen brüllen durcheinander, während unser Planet brennt.

Und doch ist, auch wenn wir die ERDE mit unseren Mustern des Unglaubens vergiften – den Boden, die Meere und die Luft –, auch wenn wir unsere Verantwortung für die bevorstehende Katastrophe des Klimawandels leugnen und meinen, wir könnten, was in gewisser Weise noch gefährlicher ist, durch eine „grüne Ökonomie“ unsere Fantasterei vom andauernden Wirtschaftswachstum fortsetzen, diese Landschaft weiterhin da. Sie kann in jedem Morgengesang, in der V-Formation der nach Süden fliegenden Gänse, im Fuchs, der zusammengerollt in meinem Garten schläft, wahrgenommen werden. Die ERDE hat nicht vergessen, was wirklich ist, auch wenn wir zunehmend verlorener sind. Die Knospen brechen weiterhin im Frühling auf, und die Blätter färben sich golden im Herbst. Und unsere Körper wachen noch immer jeden Morgen zu dieser Welt hin auf, auch wenn unser Geist sich rasch in anderen Mustern verfängt. Während unsere Aufmerksamkeit zu unseren Smartphones wandert, schimmert Sonnenlicht durch die Wolken.

Und in unseren Herzen gibt es einen Faden, der alles miteinander verbindet, in diesem Herzen, das um die Bedeutung von Liebe und Gemeinschaft, von Fürsorge und Community weiß. Unsere Herzen vermögen die schlichte Magie eines Vogelgesangs, die lebenswichtige Schönheit des Sonnenaufgangs, die Freude eines Kinderlachens zu erkennen. Unsere Herzen haben nicht vergessen, dass wir alle Teil einer lebendigen Gesamtheit sind, miteinander verbunden seit Urbeginn an, seit den frühen Tagen, als wir in Harmonie mit der ERDE und Ihrer Magie umhergingen, spielten, sangen und träumten. Dieser Faden ist noch immer gegenwärtig, auch wenn er von den heutigen Wirren verdeckt wird, von unseren materialistischen Träumen und auch von den modernen Technologien, die uns Wohlergehen suggerieren. Er ist, wie die im Wasser spielenden Otter, zu einfach, um in Verzerrungen verstrickt und zu ursprünglich, um zerbrochen zu werden. Er ist in den gewöhnlichsten Dingen zu finden wie in einer mit Liebe und Aufmerksamkeit gekochten Suppe oder ein paar freundlichen Worten, ausgetauscht unter Freunden oder mit Fremden.

Die Wissenschaft hat uns mit den Grundwahrheiten über die kommende ökologische Katastrophe konfrontiert: sie hat einen sich immer weiter erwärmenden Planeten, sowie eine Insekten-Apokalypse und sich mit Plastik füllende Ozeane dokumentiert. Wollen wir zusammen mit der ERDE überleben, müssen wir einsehen, dass unser jetziger Lebensstil unhaltbar geworden ist, und aus dieser Erkenntnis heraus handeln, um die CO2 Emissionen zu verringern und die Zerstörung ursprünglicher Landschaften aufzuhalten. Aber wir müssen auch diesen Faden wiederfinden, der uns mit einer tieferen Wahrheit verbindet, mit diesem Wissen, das älter ist als unser rationaler Verstand. Leider kommt so viel von unseren Reaktionen von derselben rationalen Bewusstseinsebene wie ihre technologischen Erfindungen, die diese Muster der Verzerrungen geschaffen haben. Obwohl diese Landschaft doch überall um uns herum ist, fällt es schwer, sich wieder zu verbinden, „anzukommen, von wo wir aufgebrochen sind/Und den Ort zum ersten Mal zu sehen“.

Wenn so viele Stimmen um unsere Aufmerksamkeit zetern, auf wen sollen wir da hören, und noch wichtiger, wem können wir trauen? Einige fundamentale Wahrheiten werden immer offensichtlicher: Die miteinander verbundene und voneinander abhängige Natur der Biosphäre, und wie wir alle Teil dieser lebendigen Ganzheit sind. Wie sehr unser derzeitiger Traum vom materiellen Wohlstand die Umwelt in zunehmendem Tempo zerstört und einen Ökozid auslöst, indem er das fragile Netz des Lebens zerreißt, das uns alle hält. Und wie Regierungen und große Unternehmen zu sehr der gegenwärtigen Ideologie des Fortschritts und Profits verfallen sind und ökonomische und soziale Verwerfungen auslösen statt einen wahren Wandel herbeizuführen. Wie junge Menschen nach einer Zukunft schreien, die ihnen immer mehr gestohlen wird, und die sehr reale Traumatisierung durch die Klima-Angst erleiden, da sie stärker auf den Augenblick eingestimmt sind als jene an der Macht.

Diejenigen von uns, die durch die Risse unserer derzeitigen Zivilisation geschaut haben, wissen, dass sie vorbei ist, über ihr Haltbarkeitsdatum hinaus, doch auch, dass Möglichkeiten für einen radikalen Umbruch und für Transformation vorhanden sind wie grüne Sprösslinge in einer sterbenden Ödnis. Es kann sein, dass dieses Jahrhundert eines von wachsender Unsicherheit, Unruhen, Chaos und sogar gesellschaftlichem Zusammenbuch geprägtes sein wird, und dann daraus allmählich eine neue Zivilisation entsteht, völlig anders als jetzt – eine Zivilisation, die sich organisch in Harmonie mit der Natur herausbildet. Dieses Große Auflösen das zu einer Großen Wende führen kann, hat das Potenzial, uns zu einer lebenserhaltenden Kultur zurückzubringen, die wieder darum weiß, dass die gesamte Schöpfung heilig ist. Und jetzt ist die Zeit zu beginnen, Samen für diese Transformation zu legen, Samen, die in der Dunkelheit und den Schwierigkeiten der kommenden Jahre keimen können, aber zu den Fundamenten einer Zukunft für sieben Generationen und mehr gehören.

Diejenigen, die heute leben, werden diese entstehende Zivilisation wahrscheinlich nicht mehr erfahren, aber das sollte uns wie die Erbauer der Kathedralen des Mittelalters nicht abschrecken, die ihre Grundsteine in dem Wissen legten, dass es viele Generationen, sogar Jahrhunderte dauern würde, bevor ihre Bauwerke vollendet wären. Wir haben die Chance, den Grundstock für eine Lebensweise zu legen, die stärker auf die tieferen Wahrheiten der ERDE und unser heiliges Wesen ausgerichtet ist. Und ich glaube, ein einfacher Schritt in diese Landschaft, die immer gegenwärtig ist, wenn auch verborgen in unserer heutigen Welt der Clicks und Meme, wird uns helfen zu finden, was wir brauchen. Es ist ein Ort, dem wir alle angehören.

Den Flussottern beim Spiel zuzuschauen, wie sie in solcher Vertrautheit übereinander purzeln, schenkt mir die Gewissheit, dass es eine tiefere Wahrheit über unsere Reise zusammen mit der ERDE gibt, eine Wahrheit, älter als jeder Glaube oder jede Ideologie und weit weg von den heutigen Dissonanzen. Das bringt nicht die Lösung für die jetzigen Probleme, denn es ist zu einfach, zu radikal. Es ist ein Tor in eine Daseinsweise miteinander und mit der ERDE, welche die Geheimnisse unserer gemeinsamen Existenz birgt, wo wir Teil eines sich bis zu den Sternen und darüber hinaus erstreckenden lebendigen Geflechts sind. Und es ist hier, überall um uns herum, gegenwärtig in den gewöhnlichsten Dingen.

 

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