Transkript der Podcast-Reihe:
Geschichten für eine lebendige Zukunft
Was ist der Sinn dieser tief in der Erde stattfindenden Veränderungen und wie stark werden sie sich auf uns auswirken? Für den Hirten im Sahel, dessen Vieh gestorben ist und dessen Kinder verhungern, oder für den Klimaflüchtling, der all seine Ersparnisse einem libyschen Menschenschmuggler geben musste, bedeutet die physische Realität der Klimakrise Flucht und Überleben. Ähnlich ist es, wenn dein Haus abbrennt oder überschwemmt wird. Das ist die Realität der Landschaft, die wir betreten, das Chaos der kommenden Jahre. Und zugleich gibt es Verschiebungen im Körper der Erde – Veränderungen, die nicht nur den Verlust von Artenvielfalt bedeuten, sondern einen Umbruch, der so radikal ist wie die Klimakatastrophe. Die Schwierigkeit ist, dass wir weder die Sprache noch die Bilder haben, um solche Veränderungen zu beschreiben. Wir haben die Sprache dafür schon lange vergessen, und die Bilder gehören hauptsächlich einem symbolischen Reich an, das wir nicht mehr deuten oder begreifen können. Und unser kollektiver Unglaube an ein symbolisches Reich hat einen Nebel geschaffen, einen Schatten, der sich über die Jahrhunderte verstärkt hat und es zunehmend schwerer macht, es zu sehen.
Es gab eine Zeit, da lebten wir alle in Einklang mit den uralten Rhythmen der Erde, den Jahreszeiten und den Sternen. Alles wurde als symbolisch wahrgenommen, unser äußeres Leben spiegelte die Muster der Seele wider und nicht nur in Zeremonien, sondern in allen Aspekten des Lebens – wie dem Kochen, Weben, Tanzen und in der Jagd. Heutzutage wissen wir nicht mehr, wie sehr unser individuelles Leben Teil eines lebendigen Ganzen bildet; wir haben keine Mitte und kein Fundament mehr. Doch die uralten Rhythmen der Schöpfung existieren weiterhin in unserem Körper und in unserer Psyche und in jedem Atemzug, auch wenn das verschüttet und fast vergessen worden ist.
Bei all den grundlegenden Veränderungen, die sich um uns vollziehen, ist es wichtig, sich an das zu erinnern, was unveränderlich ist: die heilige Natur der Schöpfung und das Herz, das in Lob und Dank singen kann. Und dass die Zelte der Liebenden noch immer auf dem Land zugegen sind, dieser Liebenden, die die Fäden der Liebe halten, welche sich miteinander zu diesem sich entfaltenden Mysterium verbinden.
An diesem Morgen haben die Hügel, während ich im ersten Licht gehe, ein orangefarbenes Glühen von der noch nicht aufgegangenen Sonne. Das einzige Geräusch ist das Kreischen der Reiher im Feuchtland. Die Äpfel an den Bäumen bei der Straße färben sich schon rot, und die silberne Sichel des Mondes steht noch am Himmel. Diese Erfahrung macht Sinn, sie ist einfach, elementar. In diesen Augenblicken, da die Landschaft mein einziger Gefährte ist, weiß ich, so wie die aufgehende Sonne und die Äpfel im Garten von Jahreszeiten und Zyklen sprechen, so tut es auch die Erde Selbst. So viele Lebzeiten bin ich mit Ihr gegangen, habe Ihr gelauscht, habe beobachtet, wie die Sonne über die Hügel gleitet und den Himmel in Orange taucht. Ihr Lied gehört dem gegenwärtigen Augenblick an, spricht aber sowohl zur Vergangenheit wie zur Zukunft.
Heutzutage, wo so viele andere Geschichten einen umschwirren, ist es schwer zu wissen, was wirklich ist. Narrative, die so Vielem in unserer derzeitigen Kultur zugrunde liegen – wie der Mythos, dass mehr besser ist, oder auch die „große Lüge“ vom anhaltenden Wirtschaftswachstum – sind lediglich Fantasien. Deshalb ist es so wichtig, dass jeder und jede von uns eine Erzählung findet, die zu uns spricht, nicht irgendwelche Verschwörungstheorien oder nostalgischen Träume, sondern eine lebendige Erzählung, die uns wieder verbindet. Wenn ich in dem Licht vor der Morgendämmerung gehe, fühle ich mich verbunden. Nicht bloß mit den Bäumen und dem nahen Feuchtland, sondern auch mit den Elementarkräften und dem Herzschlag der Erde. Ich bin Teil einer Welt, wo eine Blume, die nur einen Tag blüht, zu demselben Muster gehört wie die Wanderungen der Vögel, wie die südwärts ziehenden Gänse und wie die Spiralbewegungen der Galaxien.
Beten verbindet mich ebenfalls, mit der Stille, mit dem Herzen, mit der Liebe, die alle Dinge durchströmt. Mich zieht es mehr und mehr zu diesen Verbindungen hin, damit sie mich erhalten wie Wurzeln, die tief in die inneren Welten reichen und Nahrung finden, an der es unserer Welt jetzt mangelt. Vielleicht ist das nur so, weil man älter wird und Ablenkungen und Begehrlichkeiten nicht mehr die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, vielleicht ist es auch immer so gewesen, als all unsere Handlungen Gebet waren, als die Welten zusammenkamen und gemeinsam sangen.
Ich versuche die Erde und mein Herz zu mir sprechen zu lassen, dass sie mir Ihre Geschichte erzählen, wie die Fäden der Schöpfung zu einem neuen Muster verwoben werden. Wie das Bewusstsein der Einheit Teil dieser Veränderung ist und es ermöglicht, dass diese allem Leben innewohnende Einheit auf neue Weise bekannt wird, dass ihre Verbindungen zusammen singen und unser eigenes Intersein stärker sichtbar wird. Dieses sich entfaltende Muster wird das Leid der kommenden Jahre miteinschließen, aber auch die Hoffnung, die Freude und die Liebe, sowie ein Öffnen zwischen den Welten. Ein Wiedererwachen der Magie. Und dabei bleibt immer die Frage, welche Rolle die Menschheit in dieser Transformation, in dieser Wende spielen wird. Und hier gibt es keine Klarheit. Viele Leute schlafen, leben die Träume oder Albträume des Kollektivs, die „Konsumenten“ unserer Kultur. Heutzutage verbringen sie täglich viele Stunden an ihren Bildschirmen, oft eingesponnen in toxische Gedankenformen, die wir soziale Medien nennen. Sie wissen nicht einmal, dass dies das Ende einer Ära ist, obwohl ihre Kinder schon an Öko-Angst leiden.
Die Kräfte des Leugnens und der Verdrängung sind leicht zu erkennen, all die Machtdynamiken einer sterbenden Welt. All jene, die mit Gewinnung und Ausbeutung fortfahren wollen, die nichts anderes kennen als Gier und Geld. Das ist derselbe Antrieb, den die Indigenen Amerikas vor Jahrhunderten bei den Weißen beobachtet haben:
„Diese Liebe zu Besitz ist eine Krankheit von ihnen. Sie beanspruchen unsere Mutter, die Erde, für sich und sperren ihre Nachbarn durch Zäune aus. Sie verunstalten die Erde mit ihren Gebäuden und ihrem Müll … Der Hunger des weißen Mannes nach materiellem Besitz und nach Macht hat ihn blind werden lassen für das Leid, das er Mutter Erde zufügt.“
Doch da sind auch jene, die nicht so mit Blindheit geschlagen sind, die wissen, dass es eine andere Daseinsweise gibt. Sie bangen um die Zukunft, sie wollen nicht in eine zunehmende Ödnis oder in ein Treibhaus Erde schlafwandeln. Vielleicht haben sie den Schrei der Erde gehört, und ihre Herzen sind offen für den Schmerz und die Liebe. Sie fühlen sich aufgerufen, für eine Zukunft von sieben Generationen und mehr zu arbeiten, Ihre ursprüngliche Schönheit wiederherzustellen. Wie sich diese gegensätzlichen Kräfte in den kommenden Jahren und Jahrzehnten entwickeln werden, wird sich auf unsere gemeinsame Reise und wie die Zukunft geschrieben wird, auswirken.
Und die Erde selbst? Was weiß Sie von diesen Kämpfen, von diesen Dramen? Denkt Sie nur in Zeiträumen von Jahrtausenden? Von allen auf der Erde existiert habenden Arten sind 99,9% bereits ausgestorben. Viele von ihnen sind in den fünf katastrophalen Ereignissen untergegangen. In dem jüngsten Massenaussterben vor 65 Millionen Jahren gingen 75% der Arten unter, während das größte Massenaussterben vor rund 250 Millionen Jahren geschah, als womöglich 95% aller Arten verschwanden.
In den letzten zweihunderttausend Jahren ist die Menschheit ein wichtiger Teil Ihrer Geschichte geworden, auch wenn wir erst so kurz hier sind. Wir sind Teil Ihres Erwachens, doch steht es geschrieben, dass wir noch für weitere Jahrtausende zusammen mit Ihr reisen sollen? Ich glaube, dies jetzt ist ein Schlüsselmoment auf unserer gemeinsamen Reise und dass die Zukunft noch nicht geschrieben ist. Und dass wir, wenn wir nur in Begriffen wie Grade der Erderwärmung denken, damit fortfahren, mit den Scheuklappen von Wissenschaft und Verstand zu schauen und so eine Gelegenheit verpassen. Ob die Temperatur nun auf 1,5° oder 2° oder sogar 3°C steigt, wird in jedem Fall dramatische, wenn nicht sogar katastrophale Auswirkungen haben, aber als das menschliche Bewusstsein erstmalig auf dieser Erde erwachte, war eine andere Dimension gegenwärtig, ein Tor, ein Durchgang, zwischen den Welten war geöffnet worden, und auch das braucht unsere Aufmerksamkeit.
Und diese Geschichte muss ebenfalls erzählt werden, auch wenn nur wenige imstande sind, sie zu hören. Leider haben wir so viel von dieser Reise zensiert, in der gleichen Art, wie die frühen Christen, als sie rücksichtslos die Bibliotheken und Lehren der heidnischen Welt verbrannten. Ich wandere schon seit mehr als drei Jahrzehnten zwischen den Welten und mir ist gezeigt worden, inwiefern sich die Energiestruktur der Erde wandelt und wie wir Teil Ihrer Transformation sein können. Und doch fühlt mein Herz, während ich diese Worte schreibe, die Trauer über verlorene Gelegenheiten und sich schließende Tore. Ich weiß, dass ohne die Beteiligung des menschlichen Bewusstseins eine bestimmte Schwingung in der Transformation der Erde fehlen wird.
Ich verstehe, dass jeder von uns seinen eigenen Weg finden muss, um an dieser Arbeit teilzuhaben, und der unmittelbarste Weg ist durch unsere Liebe für die Erde. Sie ist ein Lebewesen, das unsere Liebe braucht, so wie auch unsere Fürsorge und unsere Aufmerksamkeit. Und ich glaube an die kleinen Dinge mit großer Liebe – die einfachen Handlungen liebender Güte für einander und für die Erde, die der stärksten Kraft hilft, dahin zu fließen, wo sie gebraucht wird. Aber ich denke auch, es ist notwendig, unser Gewahrsein für diese innere Dimension der Erdveränderung zu öffnen, zu dem Wissen unserer Vorfahren zurückzukehren und die Sprache der Erde wieder zu erlernen. Durch den Erdboden, den unsere Hände fühlen können, und durch die Seele, die unser Geist berührt.
Wir müssen einsehen, dass dies das Ende einer Ära ist, dass unsere Träume materiellen Wohlstands vorbei sind. Sie haben die Erde zu viel gekostet, und unsere Kinder und Enkelkinder werden in diesen Trümmern alt werden müssen. Aber wir können damit beginnen, diese erste Veränderung zu spüren, die zu den Jahreszeiten der Weltseele gehört. Den Funken eines Neuanfangs zu ahnen, den Frühling, der auf den Winter folgt. Und jene, deren Herzen offen sind, können Teil eines Gebets werden, das zur Erde spricht, das willkommen heißt, was in Ihr geboren wird. Dann kann jeder von uns auf eigene kleine Weise Geburtshilfe für diese Veränderungen leisten, damit der Funke menschlichen Bewusstseins in ihnen gegenwärtig sein kann.
Als vor Tausenden von Jahren unser Bewusstsein erstmals erwachte, wurde ein Tor zwischen den Welten geöffnet. Ein anderer Eingang öffnet sich jetzt, was Teil des Mysteriums von Erde und Kosmos ist. Wenn wir auf dieser Schwelle gegenwärtig sein können – wach in unseren Herzen und unserem Beten wie auch in unserem Schmerz und unseren Tränen –, wird unsere Reise zusammen mit der Erde diesen Funken, dieses Versprechen, diesen Neuanfang halten. Wir können Teil der neuen Verbindungen sein, die vom tiefen Innern der Erde aus in den Kosmos gebildet werden, neue Muster der Einheit, die uns alle miteinander verknüpfen. Oder wir können weiter dabei bleiben zu versuchen, eine Klimakrise einzudämmen, die bereits außer Kontrolle geraten ist, ohne die daran beteiligten Kräfte wirklich zu verstehen. Wir empfinden vielleicht allmählich, dass die Erde ein Lebewesen ist, von manchen schon Gaia genannt, aber der Geist in Ihr ist noch verschleiert, Ihre magische Natur noch verborgen. Und wir können nur gemeinsam in eine lebendige Zukunft gehen, wenn wir diese Qualitäten, diesen essenziellen Teil von Ihr ehren und achten. Sie ist nicht nur Flüsse, Berge und Bäume, sondern Geist, der alles durchzieht, Geist, der seine eigene Metamorphose erlebt.
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