Transkript der Podcast-Reihe: Geschichten für eine lebendige Zukunft
 

Mit Llewellyn Vaughan-Lee

Auch wenn dies nicht der letzte Podcast ist, möchte ich doch die Themen zusammenfassen, die ich erkundet habe. Andere Geschichten werden folgen, da ich auf andere Bahnen gelenkt worden bin, und ich will versuchen, vom Rande der Welt den Weg unserer gegenwärtigen Zeit abzubilden. Hier, wo das Meer auf den Sand trifft, wo die Welten zusammenkommen, gibt es einen Augenblick in und außerhalb der Zeit, der wieder und wieder meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. In diesem Moment, an diesem Ort erzählt sich eine Geschichte auf verschiedene Weise, wobei sie um ein zentrales Thema kreist: Wie können wir unseren Weg durch diese sich verfinsternden Tage finden, einen Weg, der, wie ich es genannt habe, in eine „lebendige Zukunft“ führt. Ob er als ein halb verborgener Pfad unter einem Blutmond dargestellt ist, oder als Rückkehr zu einem imaginierten ersten Tag ist es die Reise der Wiederverbindung mit einem vergessenen Teil unserer selbst – einem älteren, magischen und äußerst wichtigen Teil, der zur lebendigen Erde gehört.

In der simplen Handlung Flussotter zu beobachten oder der Finsternis ins Auge zu sehen, von der die Ukraine verschlungen wird, sind es Versuche, eine Geschichte zu erzählen, die Hoffnung birgt, aber trotzdem nicht die Schwierigkeiten unserer Zeit, die Krisen um uns herum, leugnet. In den letzten Jahren haben wir eine globale Pandemie erlebt, werden uns immer mehr der katastrophalen Auswirkungen der Klimakrise und des Verlusts der Biodiversität bewusst, und dazu noch die Tragödie in der Ukraine, wo grundlose Gewalt und Brutalität Leben zerstören und für Millionen Hungersnot bringen. Diese zunehmende Finsternis erzählt ihre eigene Geschichte, die wir nicht länger ausblenden dürfen.

Ich bin in den idealistischen Tagen der sechziger Jahre herangewachsen, als spirituelle Traditionen aus Indien und dem Fernen Osten neue Farben in die öde Welt der englischen Mittelklasse brachten. Ich besuchte das erste Glastonbury-Festival nahe dem geheimnisumwitterten Tor, der für die alte Tradition der Druiden und König Arthurs mystisches Avalon steht. Wir erfuhren von den Ley-Linien, den Energiestrukturen der Erde, von denen unsere Vorfahren wussten. Wir fühlten hier, nahe bei dem Tor, dass unsere Träume von der Erde magnetisiert und wahr werden könnten. Wir waren naiv und selig, lehnten die materialistische Welt unserer Eltern ab und glaubten, dass die Welt durch freie Liebe, Musik und Meditation verändert würde und wir mit Tanzen und Chanten Frieden bringen könnten.
Und dieser Funke der Hoffnung ist in mir weiter lebendig, diese Verheißung auf eine andere Art des Lebens. Natürlich war das idealistisch, wie auch jener Sommer, als ich den Hinterhof eines Freundes umgrub, damit ich mein eigenes Gemüse anbauen könnte, bis mich letztlich das Dornengestrüpp besiegte. Es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis ich in der Lage war, meinen ersten Kürbis und meine eigenen Tomaten zu ernten und zuzubereiten und meine Kartoffeln auszugraben. Obwohl es schwer sein kann, einen Traum zu leben, ist es jedoch viel schwieriger ohne einen solchen zu sein, und ich war schon immer verflucht oder gesegnet mit dem Traum von einer lebendigen Zukunft, in der wir zum Einssein zurückkehren, zur Einheit, die der Kern aller Existenz ist.
Jahrzehnte lang folgte ich diesem Traum über den traditionellen inneren Pfad des Mystikers, die Sufi-Reise im Herzen zum Einssein der Liebe, was ich in der Geschichte Die Fäden der Liebe beschreibe. Doch zu Beginn des neuen Jahrhunderts tauchten andere Visionen auf und zeigten, wie diese zentralen Themen der Einheit und der Rückkehr zum Bewusstsein der heiligen Natur der Schöpfung zum nächsten Schritt in unserer menschlichen Evolution und unserer Reise zusammen mit der Erde gehören.

Nachdem ich in den dazwischenliegenden Jahren die Reise von der Unschuld zur Erfahrung gemacht habe und kein idealistischer junger Mann mehr bin, bestreite ich nicht die Dunkelheit unserer gegenwärtigen Zeit, die eine Folge von Jahrhunderten der Ausbeutung der Menschen wie auch der Natur ist.
Ich glaube weiterhin an eine mögliche Zukunft frei vom Würgegriff des Materialismus, aber ich weiß auch, dass es ein langer mühsamer Weg durch die Ödnis unserer derzeitigen Zivilisation sein wird. Und ich glaube, dass wir anfangen müssen, uns auf diese Reise zu begeben, um unseren Weg zu dieser lebendigen Zukunft zu finden, auch wenn es viele Jahrzehnte dauern wird, bevor sich die neue Zukunft zeigt. Deshalb drängt es mich, diese Geschichten zu erzählen, und zwar als einfacher Wegweiser, damit sie uns wieder mit einem tieferen Wissen verbinden, das wir alle in uns tragen. Denn genau dieses Wissen brauchen wir, wenn wir unseren Weg finden wollen.

Wenn ich meine vierjährige Enkeltochter beobachte, wie sie sich an den einfachen Dingen so sehr erfreut – mit Kreide Bilder auf den Bürgersteig malen, eine Burg aus Kissen bauen, Großmutters Bananen-Muffins genießen – bin ich zu dem zurückgeholt, was wesentlich und zutiefst menschlich ist. Ihre Tränen und ihr Lachen sind so anders als die Zwietracht überall um uns, die sinnlose Gewalt wie auch die tiefe Gespaltenheit, die in den letzten Jahren zu Wut geworden ist, zusammen mit einem gewissen Wahnsinn, der anscheinend unser kollektives Bewusstsein befallen hat und es zu selbstzerstörerischem Verhalten antreibt. Manchmal frage ich mich, ob ich nur ein alter Mann bin, der sich nach einer Kindheit sehnt, die er nie hatte, nach einem Traum, der immer nur ein Traum bleiben wird. Aber dann schaue ich in mein Herz und weiß, dass es eine andere Weise des Daseins gibt. Lebenslange Meditation ermöglicht es mir, einen kleinen Blick in die Zukunft zu werfen, die wartet, sofern wir unseren Weg durch die kommenden Jahre finden können. Wenn wir es auf uns nehmen, dass unsere jetzige Zivilisation untragbar ist, sowohl was ihre äußeren Muster der Ausbeutung und der endlosen Gier als auch die innere Ebene betrifft, da sie ihre grundlegende Verbindung mit der heiligen Natur der Schöpfung verloren hat, diese Verbindung, die den Boden wie auch die Seele erhält.

Das Fehlen dieser Verbindung besorgt mich am meisten, besonders da es so unerkannt bleibt. Ohne diese Verbindung oder das Erinnern kann es keine lebendige Zukunft geben, aus dem einfachen Grund, weil es diese Verbindung ist, die uns trägt, die anerkennt, dass wir Teil des Lebensnetzes sind. Und diese Verbindung enthält eine spirituelle Dimension, was die indigenen Völker immer wussten. Die Natur ist nicht nur physische Umgebung, sondern eine Geistwelt, eine beseelte Welt, und in vielerlei Weise lebendig. Und diese spirituelle Dimension der Naturwelt ernährt uns genauso viel wie physisches Essen. Pflanzen sind Geschenkebringer, wie Robin Wall Kimmerer erklärt:

Eine Entstehungsgeschichte der Maispflanze bei unseren Potawatomi-Leuten bezeichnet den Mais als die Urmutter unseres Volkes, eine Frau, die ein grünes Blatt hinter sich herzog. Aus Liebe zu den kommenden hungrigen Kindern gab sie ihr Leben auf, und als sie sich in den fruchtbaren Boden legte, wurde sie zur Mais-Mutter, indem sie ihre wunderbare Saat den Kindern aller künftigen Generationen opferte.

Wenn wir diese Verbindung zu unserem angestammten Wissen wiedergewinnen, heißt uns das lebendige Land, lebendig in Geist und Nahrung, erneut willkommen. Wir brauchen diese Gemeinschaft, diese Qualität von Verwandtschaft als Ort der Zugehörigkeit, an den wir zurückkehren können.
Diese Geschichten wiederholen diese Themen in Worten und Bildern, die hoffentlich Spuren von jener Magie mit sich führen, die die Welten zusammenbringt, die uns helfen kann, die verborgene Musik zu vernehmen, unserer Seele vertraut, aber durch unseren Verstand in Vergessenheit geraten. Wie sich die kommenden Jahre entfalten werden, weiß niemand. Wir verstehen nicht die Kräfte innerhalb der Natur, die wir freigesetzt haben und die jetzt viele Kipppunkte und Feedbackschleifen passieren wie zum Beispiel der sich beschleunigende Methan-Anstieg, ein Gas, das 80% stärkere Auswirkungen hat als CO2. Und die Pandemie hat gezeigt, wie drastisch Naturkräfte in unsere Lebensweise eindringen können. Jetzt kommt es darauf an, dass wir diese Samen für eine Zukunft, die wir nicht auf unseren Computer-Bildschirmen sehen und nicht mit unserem rationalen Selbst erfassen können, am Leben erhalten.
Seit jenen berauschenden Tagen auf den Feldern nahe Glastonbury verfolge ich diese grundlegende Trennung – die Vision einer Zukunft, die auf der Einheit basiert und die um die wechselseitige Abhängigkeit allen Lebens weiß, und die Trostlosigkeit der Habgier und Korruption der Unternehmen und welches Ödland sie geschaffen haben. Wenn ich sehe, wie junge Menschen um eine Zukunft schreien, die sie vielleicht nie erleben werden, berührt das eine tiefe Saite in mir – wie viele Generationen werden verloren sein, bis wir uns wieder der Erde zuwenden? Oder einfacher gesagt, wie lange wird es dauern, bis wir zu den Werten zurückkehren, die förderlich für das Leben sind, die anerkennen, dass alles Leben, die ganze Schöpfung heilig ist? Nicht nur die Menschen, auch die Schmetterlinge und Spinnen, die Felsen und Flüsse, die Wiesen und Wälder, die Algen und Pilze…

Wenn wir unser Bewusstsein wieder auf dieses ursprüngliche Gewahrsein zurückführen, auf diese einfache Wahrheit, die unsere Vorfahren kannten und ehrten, wird der Frühling wieder kommen. Auf welche Weise dieser Frühling erwachen wird, welche Knospen aufblühen, welche Bäume Früchte tragen werden, hängt von unserer Haltung und unseren Handlungen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten ab. Diejenigen, die erkannt haben, dass die Erde ein einziges organisches, verbundenes Lebewesen ist, können diesen Wandel unterstützen und dazu beitragen, die inneren Flüsse des Lebens rein zu halten, damit sie das nähren, was geboren werden will. Neugeburt kommt immer aus der Dunkelheit, wie bei den Samen im Erdboden oder den Initiationskammern der alten Mysterienkulte. Aber diese Dunkelheit kann voller Nährstoffe sein, die für die Geburt nötig sind, und Boden, der unfruchtbar aussieht, kann dennoch mit Liebe und Sorgfalt gehegt werden.

Allerdings werden wir die kommenden Jahrzehnte durch eine Zeit des Winters reisen müssen. Es ist hart, am Ende einer Ära zu leben, wenn so vieles ungewiss ist, besonders wenn unser kollektives Bewusstsein so wenig Wahrnehmung von dem hat, was geschieht. Manche fantasieren sich sogar noch eine technologische Zukunft zurecht, jagen Bitcoins und künstlicher Intelligenz nach, während die Erde eine so andere Geschichte erzählt – die von der Gefahr eines globalen Systemversagens, da das Netz des Lebens zum Zerreißen gespannt ist. In einem sterbenden Traum und seinen Mustern der Verblendung gefangen, versäumen wir immer mehr von den vielen Chancen, die uns das Leben gibt.

In diesen Geschichten versuche ich unsere Aufmerksamkeit auf eine Möglichkeit zu lenken, wie es sich durch den Winter zum Frühling reisen lässt, wie wir, ohne unseren Weg zu verlieren, durch dieses sterbende Land wandern können. Hoffentlich finden sie Widerhall und helfen uns dabei, uns auf unser tieferes Selbst einzuschwingen, uns wieder mit unserem eigenen Wissen zu verbinden. Die Zukunft wird bei ihrer Ankunft so erheblich anders als unsere Vorstellungen sein, und zwar aus dem einfachen Grund, weil sie eine Sprache so anders als unser rationales Selbst spricht. Sie wird von einer erwachenden Erde und einer neuen Zivilisation sprechen, die auf dem ursprünglichen Gewahrsein basiert, dass wir Teil dieses organischen Netzes sind und mit der Erde und ihren vielen Wesen, lebendig in Geist und Materie, untrennbar verbunden. Und sie wird eine neue Note mit sich bringen, die von den nächsten Schritten auf unserer gemeinsamen Reise mit der Erde erzählt, die einerseits die Rückkehr zu dem, was am Natürlichsten ist, aber auch die Lektionen aus diesen Jahren der Entfremdung transportiert, damit wir endlich Verantwortung für unseren Missbrauch der Erde übernehmen. Wir werden auch nicht die Erkenntnisse der Wissenschaften verwerfen, sondern sie in den Lebensteppich einweben, denn uns ist bewusst, dass wir nicht getrennt, sondern Teil der uns überall umgebenden lebendigen Einheit sind. Und es wird neue Muster von Verbindungen geben, die ein Teil dieser Ganzheit sind, neue Möglichkeiten, zu teilen, was zutiefst menschlich ist, und in den sichtbaren wie auch unsichtbaren Welten zu leben.

Aber jetzt müssen wir erstmal behutsam unsere Schritte setzen, mit Bewusstheit gehen und die Fäden der Fürsorge und Verwandtschaft fühlen. Und das Licht halten, das noch übriggeblieben ist, um uns zu helfen, unseren Weg zu finden.

 

Hier geht es zur Audioaufnahme, in welcher Llewellyn Vaughan-Lee das Transkript auf Englisch vorliest.

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