Transkript der Podcast-Reihe:
Geschichten für eine lebendige Zukunft

 

Diesen Beitrag habe ich während der milden Tage im letzten Spätsommer geschrieben, als meine Aufmerksamkeit für eine Weile von den Schwierigkeiten und der Spaltung in unserer zunehmend zerrissenen Welt abgezogen und zu einem Ort genommen wurde, wo die Liebe alle Dinge durchzieht, wo ihre Sanftheit und Schönheit immer gegenwärtig ist. Ich wurde an ein Gewahrsein erinnert, das mir vor zwei Jahrzehnten gegeben worden war, daran, wie es in der Achse der Liebe eine neue Note gibt, die zum nächsten Schritt auf unserer gemeinsamen Reise gehört. Das steht in Verbindung mit der spirituellen Veränderung, die dem derzeitigen globalen Übergang zugrunde liegt.

 

Es ist Spätsommer, die Rosen stehen noch in voller Blüte, in Gelb und Orange, während die Tomaten in unserem kleinen Gemüsegarten reifen und allmählich rot werden. Es sind nicht so viele dieses Jahr, aber genug, um ihre Süße zu genießen, die daher zu kommen scheint, dass sie selbstgezogen sind, und dann bleiben noch genug grüne übrig, um Chutney für den Winter zu machen. Es ist nicht mehr diese vibrierende Schönheit des Frühlings, der erwachenden Erde, der sich öffnenden Knospen und der so vielen ins Leben kommenden Farben. Es ist eine weichere, reifere Schönheit, die jungen gefleckten Kitze sind herangewachsen, die Tage werden heißer, nachdem der Nebel sich verzogen hat. Aber immer gibt es da dieses Gefühl der Liebe, das mit der Schönheit einhergeht, wie die sanften Liebkosungen eines Liebhabers, eingehüllt in Farben. Besonders am Abend, wenn es mich in die Stille und ins Beten zieht, berührt mich der Garten mit der Liebe Sanftheit.

Kürzlich fand ich, als ich Texte von vor zwei Jahrzehnten las, ein Kapitel über die Achse der Liebe, dieses sich drehende Zentrum göttlicher Liebe im Kern der Schöpfung. In jenen Tagen waren meine Augen nach innen weit geöffnet und ich konnte auf der spirituellen Ebene klar sehen – ein Ort reinen Seins und des Lichts. Ich sah die Veränderungen, die darauf warteten, einzutreten, Veränderungen, die zur Transformation des spirituellen Körpers der Erde gehören. Ich sah eine neue Note, die gerade in die Achse der Liebe eingewoben wurde, die sich durch alle Dinge zieht und in jedem Sandkorn, jedem Regentropfen, jedem Lachen, jeder Träne vorhanden ist. Ich sah, wie diese Achse der Liebe auf eine neue Weise lebendig wurde. In jenen Tagen war mein Bewusstsein nicht in der Verfinsterung unserer jetzigen Zeit gefangen, in all den Dramen der Spaltung, des Kriegs und der Klimakrise. Ich war in jene Ströme des Lichts eingetaucht, die in den inneren Welten fließen, und so konnte ich diese spirituellen Veränderungen, diese Verlagerung in der Achse der Liebe sehen.

 So viel wurde in jenen Tagen gegeben, als ich derart klar den spirituellen Körper der Erde sehen konnte. So wie wir alle einen spirituellen Körper haben – aufgezeichnet zum Beispiel im indischen Chakren- System –, so hat auch die Erde einen spirituellen Körper. Das fand Darstellung in den Ley-Linien, deren Schnittstellen oft durch Steinkreise gekennzeichnet waren, später dann durch Tempel oder Kathedralen, oder durch die Position heiliger Berge, Orte, die zur Achse der Erde gehören, zum Beispiel Maunakea auf Hawaii, von dem es heißt, dass er die einheimischen Hawaiianer mit dem Kosmos verbindet. Oder das Altai-Gebirge in Sibirien, das als eines der Eingänge zum mystischen Land Shambala angesehen wird. Während dieser Zeit bekam ich gezeigt, wie sich der spirituelle Körper der Erde transformierte und sich mit einer neuen Schwingung zu drehen begann.

Wenn ich jetzt vom Rande der Welt beobachte, sehe ich mehr von den Schwierigkeiten unserer jetzigen Zeit, die sich verfinsternden Tage. Aber da das sanfte Licht eines Spätsommerabends mir eine Geschichte von der Schönheit der Erde erzählt und die süßen Tomaten in meinem Garten von Ihren Gaben sprechen, werde ich wieder zurückgezogen zu dieser neuen Note der Liebe. Leider ist Liebe eine Sprache, die die meisten von uns vergessen haben. Wir verstehen unter Liebe ein warmes, verschwommenes Gefühl, ein Fürsorglich-Sein oder eine leidenschaftliche Umarmung. Wir suchen sie bei einer Mutter oder einem Geliebten. Aber Liebe ist die Urenergie hinter aller Existenz, welche aus dem Ausströmen göttlicher Liebe entsteht, ein durch das All fließender Kosmos. Liebe ist Leben, mit Schönheit und Wunder lebendig, indem es den Liebesbund oder die Liebesverbindung spiegelt, die die Schöpfung mit dem Schöpfer verbindet.

Und Teil dieser Zeit des Übergangs, dieses Raums zwischen zwei Erzählungen, ist, dass die Achse der Liebe eine neue Note bringt: die Feier der göttlichen Einheit. Wir spüren diese Veränderung  vielleicht in dem wachsenden Bewusstsein für die aufeinander einwirkenden Verbindungen des Lebens, wie die uns umgebende Welt ein Netz wechselseitiger Beziehungen ist – wie zum Beispiel Vögel oder Bienen Blumen bestäuben, was ich in meinem Garten erfahre, wenn die Kolibris Nektar trinken oder die Bienen inmitten der Lavendelpflanzen summen. Doch verfolgt man diese Muster zurück, kommt man zu einer Qualität göttlicher Liebe, die uns jetzt klarer zu sehen hilft, und zwar mit den Augen der Einheit statt mit den Augen der Trennung. Ein Sufi-Dichter drückt diese Bewusstseinsqualität so aus, indem er das Bild vom Auftragen von Kajal, einer alten Augenkosmetik, verwendet: „Gott hat seine Augen mit Kajal des Lichts göttlicher Einheit geschminkt.“

Kollektiv sind wir leider noch sehr in der Geschichte der Trennung gefangen, eine Geschichte, die es uns erlaubt, die Naturwelt zu verschmutzen und zu entweihen, ohne dass wir wirklich erkennen, wie wir damit unser eigenes Selbst, unseren eigenen Körper attackieren. Doch sogar die Wissenschaften werden wach für die Muster der Verwobenheit, die dem Netz des Lebens angehören. Und das ist nur ein Trittstein zu einem sich entwickelnden Bewusstsein, das zur Einheit erwacht.

Von den Farben und der Schönheit des Spätsommers umgeben, fühle ich, wie diese Qualität der Liebe in meinem Herzen lebendig ist, der Ort, wo wir alle an der Achse der Liebe in der Welt sind. Wir brauchen nicht zu einem heiligen Berg zu reisen, denn jedes Herz ist das Zentrum, der Ort, von dem aus die Liebe in die Welt fließt. Hier ist es, wo Liebender und Geliebter am unmittelbarsten verbunden sind, ein Geliebter, der die Quelle aller Liebe ist und gegenwärtig in jeder Zelle der Schöpfung, in jedem Atemzug. Und wenn unser Herz von der Berührung seines Geliebten erweckt worden ist, singt es das Lied seiner göttlichen Natur. Es ist in Lob und Dank gegenwärtig und feiert des Lebens göttliche Natur, der es angehört.

Es ist immer das Werk der Liebenden Gottes gewesen, diese Achse der Liebe rein und geschützt zu halten, damit sich die Welt ohne Verzerrungen auf ihr drehen und die göttliche Liebe in die Schöpfung fließen kann. Durch unser Beten, unsere Praktiken und die Offenheit unserer Herzen sind wir an der Achse der Liebe präsent. Unsere Liebe zu Gott, die Liebe zwischen den Liebenden und ihrem Geliebten singt an ihr entlang. Auf diese Weise leben wir sie in dieser Welt.

Die Liebenden kümmern sich um die Achse der Liebe in der Welt durch die Einfachheit ihrer Hingabe, indem sie ihre Herzen rein halten und die Aufmerksamkeit ihrer Herzen auf Gott ausrichten, während sie ihren Alltag leben. Wie wir diese Liebesgeschichte, was die Schöpfung ist, leben, bleibt für jeden und jede von uns einzigartig. Kein Weg der Liebe ist wie der andere. Aber alle Liebenden leben dieselbe Achse der Liebe. Sie ist in unseren Herzen lebendig und in jedem Atemzug gegenwärtig. Und wenn wir uns unseres Geliebten erinnern, singt sie in uns und nährt das Leben auf geheimste und wunderbare Weise.

Alles im Leben ist eine Liebende, die auf ihren Geliebten wartet. So wie die Liebe verliebte Menschen zusammenbringt, so zieht sie alles zurück zur Vereinigung. Würde die Liebe nicht die Schöpfung zusammenhalten, fiele alles auseinander. Jedes Molekül ist Teil des Liebesspiels von Liebe und Sehnsucht, in welchem das Antlitz der Liebe verhüllt und offenbart wird. Wir erfüllen unsere Rolle in dieser Liebesgeschichte auf einfachste Weisen – indem wir anderen mit Liebe begegnen, indem wir mit Liebe kochen oder saubermachen, indem wir unseren Alltag mit Erinnern und Gewahrsein leben, was für den Sufi das Gewahrsein des Herzens ist.

Außer der Einheit gibt es noch eine weitere zentrale Qualität dieser neuen Note der Liebe, und die hat damit zu tun, dass sie das Physische umfasst, miteinbezieht. Jede Ära hat ihre eigene Art der göttlichen Offenbarung. Die Note der Liebe in der letzten Ära half uns dabei, uns zu einer monotheistischen Göttlichkeit jenseits unserer physischen Welt hinzuwenden. Der transzendente Gott war eine Gabe der patriarchalen Ära, deren Kennzeichen die Sichtweise der Dualität war: Himmel und Erde, Geist und Materie. Die spirituellen Praktiken und Lehren funktionierten im Kontext dieser Auffassung und führten uns weiter und weiter von der materiellen Welt und der instinktiven Beziehung zum Leben fort, was zuweilen als ein gefallener, sündiger Ort bezeichnet wurde. Erkenntnisse über die physische Welt wurde den Wissenschaften und ihren Entdeckungen überlassen. Aber jetzt werden unsere Herzen wieder zurück zur physischen Welt und ihrem Wunder der göttlichen Gegenwart gewendet. Es ist notwendig, dass wir die Heiligkeit der Erde, die wir sehen und anfassen können, wieder bestätigen und erfahren, wie alles von Ihr dem Einen lebendigen Sein angehört. Und die Liebe wird uns dabei unterstützen, wahrzunehmen, was unser Verstand vergessen hat.

Das Physische miteinzubeziehen ist wesentlich für unseren Weg in die neue Ära – nicht nur vom ökologischen Gesichtspunkt aus, obwohl dieser rigoros nach unserer Aufmerksamkeit verlangt, sondern auch spirituell gesehen, nämlich die Wiedervereinigung von Geist und Materie. Das führt uns zur Weisheit indigener Völker zurück, jedoch auf eine neue Weise, auf einen noch unentdeckten Pfad. Der Erde zuzuhören, mit dem inneren und äußeren Ohr, kann uns besser auf die Veränderungen einschwingen, die in diesem Lebewesen stattfinden. Und mit Liebe und einem offenen Herzen zu lauschen, ist äußerst wichtig, wollen wir die Sprache der Erde wieder erlernen. Die Liebe kann uns darin viel schneller unterweisen als Lehrbücher, denn sie vermag unser eigenes tieferes Wissen zu erwecken.

Da gibt es zum Beispiel ein altes alchemistischen Geheimnis über die physische Welt und das in der Materie verborgene Licht. Während die christliche Kirche im Himmel nach dem Licht Ausschau hielt, suchten die Alchemisten das in der Materie verborgene Licht. Sie erkannten, dass es im Schöpfungsgewebe eine heilige Essenz gab, und sie arbeiteten mithilfe von Experimenten und Imagination daran, sie freizusetzen. Heutzutage können wir es uns nicht mehr erlauben, auf den Spuren der Kirchenväter zu wandeln und nur das transzendente Licht zu suchen, nur in Richtung Himmel zu schauen, auf eine Welt nach unserem Tod. Wir müssen um das Licht in der Materie wissen und die Magie der Schöpfung erkennen, die es enthüllt. Eine uns umgebende lebendige Welt hier.

Da sind Magie und Geheimnis in der Erde, die offenbart, die erweckt werden wollen. Ich kann ein einfaches Beispiel dafür aus meiner eigenen Erfahrung geben. Vor ein paar Jahren ging ich auf einem Wanderweg unweit meines Zuhauses, als ich in eine andere Zeit zurückgenommen wurde, dahin, wie die Dinge in den frühen Tagen gewesen waren, bevor die Wolke des Vergessens kam, und ich erkannte plötzlich, dass in jenen Tagen der Pfad einem sagte, wo er hinging. Ich habe über die Traumzeit der Aborigines gelesen und wie Songlines die indigenen Gruppen quer durch den Outback führten. Aber mir war nie klar gewesen, dass ein Pfad tatsächlich zu einem sprechen und erzählen könnte, wohin er geht. Ein Pfad trägt all seine Reise mit sich, die Landschaft, der er folgt, die Bäume, die ihn begleiten, die Bäche, die er vielleicht durchqueren muss. Und wenn das Land lebendig ist, kann es dir von dieser Reise erzählen und wie sie zurückzulegen ist.

Das ist nur ein Beispiel, wie eine erwachte Erde zu uns sprechen kann, wenn wir empfänglich sind und fähig zu lauschen. Wenn das Licht in der Materie zu leuchten und zu offenbaren vermag, was verborgen ist. Leider haben wir, als die Welt zu einem Ort erklärt wurde, an dem das Göttliche abwesend ist, zu einer rein physischen Realität, losgelöst vom spirituellen Reich, ihre magische Natur hinter einem Schleier versteckt. Dann schwand diese Magie nach und nach, bis sie verborgen war und dann verloren ging. Eine Pflanze erzählt den meisten von uns nichts mehr über ihre heilenden Eigenschaften oder ihr Gift. Es gab eine Zeit, als wir alle dieselbe Sprache sprachen, nicht nur die Tiere und die Vögel, auch die Pflanzen und die Bäume. Bis wir von der Welt um uns herum abgeschottet waren.

Die physische Welt braucht es jetzt, wieder mit ihrer eigenen Energiequelle verbunden zu werden, mit der Lebenskraft, die ihr innewohnt. Und der schnellste Weg ist durch die Liebe. Und da die Achse der Liebe in jeder Zelle der Schöpfung gegenwärtig ist, können wir der Welt durch die Liebe helfen, wieder zu singen, und der Magie, aufs Neue lebendig zu werden. Treten wir erst einmal aus den Mustern unserer Abgeschlossenheit und unserer Konditionierung heraus, dass die Liebe allein eine persönliche Erfahrung ist, können wir bestätigen, wie die Liebe in unseren Herzen allem Leben gehört. Dann können wir beginnen, an diesem Werk teilzunehmen. Wie ich schon erwähnte, die Liebe fließt auf mysteriöse Weise dahin, wo sie gebraucht wird, wohin der Kummer der Erde sie ruft. Dahin, wo die Erdmagie den Nebel unseres Vergessens durchbrechen und wieder zu uns sprechen kann.

Dies alles sind Erzählungen von einer lebendigen Erde, lange vergessen von unserem rationalen Ich und einer westlichen Geschichte der Spiritualität, die sich von der physischen Welt abgetrennt hat. Wir wissen vielleicht von der magnetischen Achse der Erde, aber nichts von ihrer spirituellen Achse, der axis mundi, ihrer kosmischen Achse. Von dem Ort, wo sich die innere und die äußere Welt treffen. Sufis haben immer von der Achse der Liebe gewusst, die zu ihrem spirituellen Körper gehört und wie dadurch die Welten ausgerichtet gehalten werden. Sie arbeiten im Zentrum der Schöpfung und bringen Liebe und Licht dahin, wo es nötig ist. Auch wenn die äußere Welt so viel von unserer täglichen Aufmerksamkeit erfordert, ist es doch hilfreich, sich dieser anderen Dimensionen zu erinnern, besonders in unserer jetzigen Zeit des Übergangs und einer möglichen Transformation. Und daran, wie das Herz und sein Beten an dieser Arbeit mitwirken können. Anzuerkennen oder zu erinnern, wie wir zum spirituellen Körper der Erde gehören, allseitig verwoben auf verschiedenen Ebenen.

Stille und Liebe haben viele verborgene Qualitäten. Sie können eine Zuflucht vor den Anforderungen des äußeren Lebens sein, aber auch ein Ort, wo die Welten zusammenkommen. Durch die Liebe können wir die innere Sprache des Lebens sprechen, seine Geheimnisse teilen. Wir können an dem Ort sein, wo das Buch des Lebens geschrieben wird. Wir können entweder das Leben allein durch die Augen des Ichs sehen, das seine Geschichte der unerfüllten Sehnsüchte, der Unsicherheit und der Muster des Selbstschutzes erzählt, oder wir erkennen, dass gerade eine andere Geschichte erzählt wird, in der unser individuelles Selbst Teil der gesamten Schöpfung ist. Dieses miteinander verbundene lebendige Wunder wird sichtbar im Netz der Spinne, das im Frühtau funkelt, und im Vollmond, der hinter den Bäumen aufsteigt. Es ist überall um uns herum da, sogar die Geräusche der auf der Straße vorbeifahrenden Autos stören nicht. Diese sanften Sommertage und Nächte sprechen mit so vielen Stimmen. Das Streifenhörnchen erschreckt sich nicht mehr, wenn ich dicht an ihm vorbeigehe, huscht nicht mehr zwischen die Felsbrocken. Ich bin einfach nur dankbar, dass für eine Weile der Lärm und die Wirren der Welt weit weg zu sein scheinen.

 

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