Transkript der Podcast-Reihe:
Geschichten für eine lebendige Zukunft

 

Einheit ist ganz einfach: Alles ist miteinbezogen und hat die Möglichkeit, der eigenen Natur entsprechend zu leben. Das gehört zum Geheimnis des Lebens, das jetzt offenbart werden kann, eine Chance, die geboten wird. Wie wir diese Gelegenheit nutzen, hängt vom Ausmaß unserer Teilhabe ab, wie sehr wir bereit sind, uns von den Mustern der Vergangenheit zu befreien, von der Art, wie unser Denken und Handeln konditioniert ist, und zuzulassen, dass wir Teil des Lebens sind, das sich neu erschafft.

In diesen letzten Tagen unserer sterbenden Ära werden wir mehr und mehr in die Muster der Spaltung gezogen, isolieren uns in nationale, kulturelle und soziale Identitäten und erleben ethnische Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Und doch erzählt uns das Leben eine andere Geschichte, nicht von einem Ökosystem, das zerstört wird, weil wir die ihm eigene Ganzheit nicht wahrhaben wollen, sondern dass all unsere verschiedenen Ethnien, Bräuche und Glaubensrichtungen zu dem einen lebendigen Bildteppich der Menschheit gehören – der multi-ethnischen globalen Gemeinschaft.

Die Ganzheit des Lebens zu erkennen, wie jeder Teil zu dieser sich ständig entwickelnden und verändernden Einheit gehört, ist eine Wahrnehmungsqualität, die wir brauchen, damit wir in die Zukunft eintreten können. Diese Art des Sehens ist notwendig, um unsere Reise fortzusetzen, wie das vor einigen Jahren die innere Welt mir gegenüber ausdrückte:

Du siehst nicht durch Trennung, sondern durch Zusammengehörigkeit. Du siehst nicht durch etwas, das sich von dir unterscheidet, sondern wie durch ein Echo in dir, was in dir nachschwingt, Teil von dir ist. Dann siehst du die Wechselbeziehungen der Dinge, wie sie zusammenhängen und nicht wie sie getrennt sind. Du siehst den Fluss des Lebens und nicht die isolierten Objekte des Lebens. Du erkundest die Gemeinsamkeiten der Dinge statt ihre Unterschiede.

Zu lange haben wir auf die Unterschiede, auf die Trennung, auf die Abgrenzung, auf die Entfernung zwischen den Dingen geschaut und das zu unserer Welt gemacht. Wenn wir die Dinge auf andere Weise sehen, werden wir eine andere Welt erkennen. Wir werden lernen, die Verbundenheit der Dinge zu sehen, die Harmonie der Dinge, die dynamischen Muster des Bezogenseins und wie diese Verbindungen alle miteinander kommunizieren, wie sie zusammen singen. Wie Leben in das Leben fließt und alles Teil eines lebendigen Ganzen ist.

Bleiben wir in unserer konditionierten Weise des Sehens und Denkens, bei der wir uns auf die Unterschiede zwischen den Dingen und den Menschen fokussieren, wird das Leben mehr und mehr zerbrechen, wie wir das jetzt schon erfahren. Weil sich diese Brüche ausdehnen, ist dieser Augenblick so ausschlaggebend wie der Dichter Yeats vor über einem Jahrhundert prophezeite:

„Kreisend und kreisend im sich weitenden Wirbel
Kann der Falke den Falkner nicht hören;
Alles zerfällt; die Mitte hält es nicht…
Bloße Anarchie ist losgelassen auf die Welt…“

Und doch beginnt die Natur einige Muster ihrer Vernetzung der Wissenschaft zu offenbaren, wie es in der Arbeit von Suzanne Simard über ihre Entdeckung der Netzwerke der Mykorrhiza-Pilze dargelegt ist. Das sind Netzwerke in Wäldern, die die Bäume miteinander verbinden und darüber Wasser, Kohlenstoff, Stickstoff und andere Nährstoffe und Mineralien leiten wie auch Stresssignale senden, zum Beispiel bei Trockenheit und Krankheit oder Insektenbefall. Auch wie einige Bäume in Protokooperation stehen, also nutzbringend interagieren. Die Douglasie steht gern bei Birken, weil es für sie gesund ist. Sie infiziert sich dann nicht. Über die Birkenblätter wird sie mit Nährstoffen versorgt. Und die Birken beherbergen verschiedene Bakterien mit antifungiellen Wirkstoffen, so dass sie gegen Krankheiten wirken, die tödlich für die Douglasien sind. Lokal und global ist die Natur voller Beziehungsmuster, die ihre lebendige Ganzheit unterstützen, was wir erst jetzt zu entdecken beginnen. Indigene Völker lebten in Harmonie mit diesen Mustern und halfen, sie zu erhalten. So wussten sie zum Beispiel in ihren Geschichten bereits, dass es diese Pilznetzwerke im Boden gibt. Sie sprachen vom Pilz im Erdboden und dass er die Bäume nährt, und vom Lachs, dass er auch die Bäume nährt, und sie nahmen von den Lachsen aus den Flüssen  die Überreste und Gräten und legten sie unter die Bäume, um sie mit dem Stickstoff und den Nährstoffen vom Lachs zu düngen.1 

Die Einheit ist voll von lebendigen Mustern des Zusammenwirkens und der gegenseitigen Abhängigkeit. Tief im südamerikanischen Regenwald lebt ein anderer Pilz, der 50 000 Blätter pro Tag konsumiert, ohne je an die Oberfläche zu kommen. Er ist darauf angewiesen, dass Ameisen ihm Nahrung im Austausch mit Nährstoffen bringen. Der Pilz dirigiert irgendwie die Ameisen und gibt ihnen Aufträge, wobei er chemische Kommunikation benutzt. Dies sind allem Leben inhärente Muster, die sich über Millionen von Jahren entwickelt haben. Es ist Zeit für uns, dass wir wieder einen Schritt zurückgehen in diese sich entwickelnden Muster – nicht mehr in die von Beherrschen und Kontrolle, sondern von Wechselbeziehungen, die tief in die inneren Welten reichen. Auf allen Ebenen gibt es viele Formen der Kommunikation, feine Signale, die unsere Vorfahren kannten. Es gibt auch Netzwerke heiliger Bedeutung. Sie verbinden die Welten, Orte, wo die Energie leichter fließt und sich Synchronitäten ereignen. Orte, wo Traumpfade geboren werden.

Manchmal verbinden Träume die Welten oder Visionen zeigen eine andere Landschaft als die unserer äußeren Augen, Orte, wo die Pferde singen. Wenn wir nur in Begriffen von materiellem Wohlergehen denken, verpassen wir diese Zeichen – unsere Augen sind dann blind, unsere Ohren taub und unsere Herzen hart. Da wir nicht mehr das Buch des Lebens lesen können, stolpern wir in eine unbekannte Zukunft und übersehen die Zeichen unserer Zugehörigkeit, die Zeichen für unsere Heimkehr. Wir haben vergessen, dass die Geburt des Bewusstseins auch eine Geburt des seelischen Bewusstseins gewesen ist, einer inneren Welt, die sprach und sang, die uns Visionen schenkte und Sinn. Die ersten Künstler, die Spiralen auf Steine malten, wussten von diesem Mysterium wie auch die Geschichtenerzähler und Seher. Es ist wohl an der Zeit, dieses Land wiederzugewinnen, das wir verlassen haben, wieder diese Magie anzuerkennen, die wir verworfen haben, die Quellen, die niemals vertrocknet sind.

Die Menschheit ist weit von der Quelle weggereist, hat ihre Mutter im Stich gelassen und gelernt, in einer Welt der Maschinen zu leben. Das war unsere Wahl oder unser Schicksal. Durch unseren Missbrauch der Gabe des Bewusstseins auf unserer Reise des Fortschritts sind wir von einer Welt des heiligen Sinns entfremdet worden. Aber jetzt gibt es die Gelegenheit, zurückzukehren, aufs Neue zu lernen, wie man wirklich sieht, hört und auf heilige Weise geht. Die Seele in allen Dingen zu fühlen. Halten wir jedoch weiter an den alten Göttern des Materialismus fest, werden wir uns in einem zunehmend sterilen Land vorfinden. Wir denken, wir schützten uns, wenn wir tatsächlich in einem Land der Fülle verhungern. Und wollen wir durch ein Land der Klimakrise navigieren, müssen wir die Verschiebungen verstehen, die sich gerade ereignen, nicht einfach nur steigende Temperaturen, sondern auch die Muster innerhalb der Schöpfung, wie die Erde sich entwickelt und antwortet.

Die Menschheit ist immer Mittler zwischen den Welten gewesen, zwischen der inneren Welt der Seele und der äußeren physischen Welt der Sinne. Bis wir vergaßen, wanderten wir in beiden Welten, was sich in Ritualen, Gebeten und einfachen täglichen Handlungen ausdrückte. Wir waren mit der Erde zusammen. Aber als die Kirchenväter beschieden, dass das Göttliche nur im Himmel zu finden sei, und Erdmagie und Erdweisheit verbannten, beraubten wir uns selbst und die Erde der essenziellen Nahrung und des Sinns. Jetzt müssen wir uns wieder mit Ihrem Körper und Ihrer Seele verbinden. Wir können es uns nicht länger leisten, vom Land unter unseren Füßen vertrieben und von der Energie abgeschnitten zu sein, die vom Innern kommt. Das Leben ist am Sterben und muss wieder mit der Quelle verbunden werden. Das Bewusstsein gibt uns die Möglichkeit, diese Verbindung herzustellen und zu dem zurückzukehren, was heilig ist, oder weiter und weiter in ein sterbendes Land zu wandern.

Diese Muster wechselseitiger Verbindungen sind lebendig. So wie Nährstoffe durch das Pilznetzwerk der Bäume fließen, so fließt auch Energie durch die Muster der Einheit, die das Leben erhalten. Sie sind nicht statisch, sondern Teil des ständigen Wandels des Lebens. Und wir sind Teil von ihnen, sind in den inneren und äußeren Welten verknüpft. Die Liebe kann durch diese Verbindungen fließen und auch die Erkenntnis, dass die Erde als lebendiges System wirkt und dass Sie sich verändert. Auch gibt es jetzt, in dieser Zeit zwischen den Erzählungen, mehr Flexibilität in diesen Mustern als zu anderen Zeiten. Unser rationales Bewusstsein sieht Dinge als fest statt fluid, aber das ist nur die Begrenzung unseres gegenwärtigen Denkens.

Gelingt es uns, aus der Erfahrung der Welt als ein rein physikalisches Gebilde, getrennt und unterschieden von uns, zu treten und sie als einen Energiefluss wahrzunehmen, der uns naturgemäß einschließt, werden wir das Leben anders sehen. Die Natur weiß, wie das Leben durch so viele Formen fließt, und sogar die Teilchenphysik bestätigt ein Bild der Materie als ein dynamisches Energiefeld, einen tanzenden Fluss von Energiemustern, die sich zu einer physischen Form verbinden. Können wir dieses Bild von der Materie akzeptieren, befreit uns das vielleicht von der Vorstellung einer statischen, festgelegten Welt, in der nur materielle Dinge eine Substanz haben, und nimmt uns mit in eine fluidere, dynamischere und umfassendere Beziehung zum Leben. Das wird uns ermöglichen, in größerem Umfang teilzuhaben, frei von den Begrenzungen der vergangenen Muster.

Dies sind alles nur Hinweise, Vorschläge, wie wir in dieser Zeit des Wandels mit der Erde sein können. Ich versuche eine andere Weise der Beziehung zu der uns umgebenden Welt zu beschreiben, die es uns ermöglicht, Teil der grundlegenden Verschiebung zu sein, die zu dieser Zeit gehört. Gewiss ist nur, dass wir in eine Zeit radikaler Ungewissheit gehen, die kennzeichnend für das Ende einer Ära ist, und dass die Erde sich auf Weisen verändert, die unsere rationale Wahrnehmung nicht erkennen kann. Wir sehen viel eher die Zerstörung der Biosphäre als die neuen, sich gerade herausbildenden Muster. Aber „wenn wir auf andere Weise sehen, werden wir eine andere Welt erkennen.“

Während die Zukunft ungewisser und fluider wird, werden autoritäre Regime und rechtsextreme Ideologien immer starrer und kontrollierender. Das kann als Reaktion auf die grundlegende Unsicherheit der Gegenwart gesehen werden, auf eine Welt, „wo die Dinge auseinanderfallen“. Leider ist das meist die lauteste Stimme, und sie schafft Unterdrückung und reaktionäre Bewegungen, indem sie Stabilität durch Stärke und Zwang fordert. Aber so wie die Klimakrise nicht durch Leugnen aufgehalten werden kann, laufen diese Kräfte der Kontrolle den stattfindenden tieferen Veränderungen zuwider. In den kommenden Jahrzehnten werden wir beobachten und leiden, während diese Kräfte interagieren, und erleben, wie sich beschleunigender Wandel auf zunehmende Unbeweglichkeit und feste Vorstellungen auswirkt. Die Gefahr ist, wie Yeats prophezeit, „Bloße Anarchie ist losgelassen auf die Welt“. Gesellschaftlicher Zusammenbruch ist eine reale Möglichkeit.

Und doch ist eine andere Erzählung bereits präsent und sie spiegelt sich in unserem aufkeimenden Bewusstsein für die Muster der Protokooperation in der Natur, in ihren unterstützenden Netzwerken. Dieser Bewusstseinswandel ist um uns im Gange, auch wenn es ganz so aussieht, als hätten wir die Gelegenheit versäumt, ihn in unser kollektives Wahrnehmen zu bringen. Treten wir in diese größere Bewusstseinsdimension ein, die zugleich die einzigartige Bedeutung eines jeden Teils innerhalb des Ganzen erkennt und wertschätzt, gelangen wir in eine sehr andere Wirklichkeit. Wir sind dann präsent und mit dem Ganzen in jedem Augenblick vernetzt. Wir kennen es aus unserer individuellen Geschichte, wie sich das Leben verändert, wenn wir in ein Gefühl der Harmonie mit uns selbst und der Umwelt zurückgebracht werden. Die Musik in unserem Leben ändert sich, wenn wir merken, wir sind am richtigen Platz, im Zentrum unseres Lebens. In dieser Harmonie kann Heilung geschehen, und die Möglichkeiten des Lebens erweitern sich, wenn wir unser individuelles Selbst mehr „in Einklang“ mit dem Leben finden. Dieselbe Möglichkeit, wenn auch verborgen, ist im Innern allen Lebens präsent. Während die alte „Mitte es nicht hält“, ist überall um uns eine neue Mitte, ein neues Zentrum, gegenwärtig, und zwar in den einfachsten Dingen, in den Mustern der Verbindungen, in der Liebe und Fürsorge, die uns unterstützt, in der Intimität, die eines der kostbarsten Geschenke des Lebens ist. Wie ich in einem vorausgegangenen Podcast erwähnt habe, ist das, was gerade geboren wird, nicht so sehr eine Form als vielmehr ein Raum, wo alles seiner wahren Natur entsprechend sein und sich zusammen entwickeln kann. Diese Möglichkeit wird uns jetzt angeboten.

Ich habe das Glück, von der Natur umgeben zu sein, wo ich tagtäglich diese Muster sehe – in der Familie der Flussotter, die übereinander purzeln, in den Obstbäumen, deren Frühlingsschönheit Befruchtung und später Fülle bringt. Ein Schwarm von Staren oder eine Formation Wildgänse hoch am Himmel zeigen Muster, die sich bilden und gleich wieder wechseln, eine lebendige Harmonie. Doch wir können dies auch in unseren menschlichen Interaktionen erkennen, insbesondere, wenn Liebe und Zuwendung beteiligt sind. Wir können Innigkeit und Lachen bei Eltern und kleinen Kindern erleben, die Nähe, die sie nährt, oder wie Freunde einander unterstützen oder wenn Flüchtlinge ein neues Heim erhalten. Das ist wohl die älteste menschliche Geschichte, schon gelebt, als wir kleine Gruppen von Jägern und Sammlern waren und uns gegenseitig unterstützen mussten, um zu überleben. Schauen wir jedoch genauer hin, können wir sehen, dass eine neue Magie zugegen ist, eine neue Zutat, die gerade in den Lebensstoff eingewoben wird. Diese Magie erzählt eine andere Geschichte als die Wirren um uns herum, als all die Konflikte, all die Spaltung. Diese Erzählung gilt es zu vernehmen, damit wir ihr helfen, lebendig zu werden.

 

©2023 The Golden Sufi Center, www.goldensufi.org

  1. „Finding the Mothertree, Ein Interview mit Suzanne Simard“ in Emergence Magazine
    Das Buch von S. Simard: „Finding the Mothertree“ ist auf Deutsch unter dem Titel: „Die Weisheit der Wälder“ im btb Verlag 2022 erschienen.