Transkript der Podcast-Reihe:
Geschichten für eine lebendige Zukunft

Geschichten nehmen uns an die Hand und führen uns durch unser Leben. Sie bestimmen unser individuelles und kollektives Schicksal stärker als wir denken. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt steht die Geschichte der Menschheit mit ihrer Dynamik von Eroberung und Kontrolle in unmittelbarem Konflikt mit der Geschichte der ERDE und ihren Mustern der Biodiversität – ein Konflikt, der die Biosphäre zerstört und unser gemeinsames Überleben gefährdet, wie auch jede kollektive Einsicht in das, was wahr ist, zensiert.

Dabei gibt es eine andere, ältere Geschichte, die überall ist, die Geschichte, die wir mit jedem Atemzug spüren, wie sehr wir Teil der Naturwelt und ihrer Rhythmen und Muster sind. Wir gehören zu einer Welt der Bäume und Wolken, der Flüsse und Winde. Wir reagieren auf die Morgendämmerung und auf den Sonnenuntergang, auf den Winter und auf den Frühling. Und doch haben wir in unserem Gedächtnis den Bezug zu dieser älteren Erzählung verloren und stattdessen eine Maschinerie erschaffen, die genau das Ökosystem zerstört, das uns erhält, das uns leben und atmen lässt.

Das derzeit dringlichste Anliegen ist, wie wir unseren Weg zu dieser ursprünglichen Geschichte zurückfinden und sie zu einer Erzählung für die Gegenwart und für eine lebendige Zukunft machen können. Ja, wir müssen den CO2 Ausstoß reduzieren, den Verbrauch fossiler Energien senken, Feuchtgebiete renaturieren und mit dem Kahlschlag der Urwälder aufhören. Doch dies alles sind nur die Symptome einer Zivilisation, die ihren Weg verloren hat, die krankhaft selbstzerstörerisch geworden ist. Die tiefere Frage ist, wie wir zu einer Erzählung zurückkehren können, die das Leben stützt – und zwar nicht nur die menschliche Existenz, sondern auch die mehr- als-menschliche Welt, die uns umgibt.

Wir müssen uns an die Macht der Erzählungen erinnern. Die Erzählung, die unsere gegenwärtige globale Zivilisation hervorgebracht hat, ist eine des konstanten wirtschaftlichen Wachstums und des Konsumdenkens. Diese Geschichte ist die Grundlage des Amerikanischen Traums und der Idee, dass es jeder Generation besser gehen wird als jeweils der ihrer Eltern, wobei „besser“ als „mehr“ verstanden wird. Diese Geschichte hat Millionen aus der Armut geführt, dabei jedoch gleichzeitig wenig Rücksicht auf unser tatsächliches Wohlergehen genommen und die dunkle Seite davon, nämlich die ökologischen Folgen, ausgeblendet. Es ist ein Glaubenssystem, das inzwischen zunehmende Ungleichheit und Umweltzerstörung schafft, wie auch den nachfolgenden Generationen die Zukunft raubt.

Geschichten sind eigentlich dazu da, uns zusammen zu halten, uns zu unterstützen und uns ein Gefühl der Zugehörigkeit zu geben. Aber wir haben keine lebendige Erzählung, die uns in dieser gegenwärtigen Landschaft helfen könnte; es bleibt nur eine große Angst vor den Verlusten. Unsere Politiker zeigen entweder nur ein Nichtwahrhabenwollen oder erzählen uns, was in gewisser Hinsicht viel gefährlicher ist, von der Schaffung einer „grünen Ökonomie“, mit deren Hilfe wir unsere Fantasiegebilde vom endlosen wirtschaftlichen Wachstum fortsetzen sollen. Oder sie verschanzen sich in den Bunkern des Autoritarismus oder Nationalismus und suchen Macht und Zuflucht in alten Geschichten, die unser gegenwärtiges Dilemma überhaupt nicht ansprechen.

Wir können diesen Moloch unserer industriellen Zivilisation und ihr Wirtschaftswachstum nicht einfach anhalten. Unsere Regierungen haben zu viel in diese Ideologie investiert und erkennen keine Alternative, auch wenn die Vizegeneralsekretärin der UNO Amina J. Mohammed kürzlich sagte, die Welt sei in „eine Spirale der Selbstzerstörung“ geraten.

Unsere Kinder und Enkelkinder werden erleben, wie unsere jetzige Welt auseinanderfällt, weil sie schlicht nicht nachhaltig ist. Sie werden verfolgen, wie die CO2 Emissionen und die Temperaturen weiter steigen, es zu immer mehr Bränden und Überschwemmungen kommt. Sie werden mit ansehen, wie die Zahl der Flüchtlinge zunimmt, die Hunger und Krieg zu entkommen suchen. Und sie werden wahrnehmen, wie sich die Risse im Gewebe unserer Zivilisation vergrößern. Dies hat bereits begonnen, zum Beispiel in dem Krieg der Kulturen: wo jene, gefüttert mit Fake News und Verschwörungstheorien, zu irgendeiner nostalgischen Vergangenheit zurückkehren wollen. Oder in dem tragischen entmenschlichten Krieg in der Ukraine, wo eine gescheiterte Ideologie, der Traum von einem verloren gegangenen Imperium, zu Brutalität und sinnloser Zerstörung antreibt.  Dies sind Zeichen einer Lebensweise, die vorbei ist, und einer Finsternis, die sich als Nationalismus maskiert.

Wir alle müssen uns in der einen oder anderen Art und Weise daran beteiligen, die alte Welt loszulassen, einfacher zu werden, nachhaltiger zu leben und zu versuchen, die Risse in unserer Biosphäre zu heilen. Jedoch setzen die meisten derzeitigen Lösungen für die Umwelt lediglich denselben wirtschaftlichen Mythos in neuer Form fort. So wird zum Beispiel der Wechsel von Verbrennern zu Elektroautos unsere gegenwärtige Umweltkrise nicht beheben, sondern vielmehr ein anderes ökologisches und humanitäres Desaster hervorrufen, wie sich das bereits in den Kobalt-Minen im Kongo abzeichnet. Wir brauchen eine radikalere Antwort, eine neue Erzählung. Es zieht mich an, diese existenzielle Wende zu erkunden, auch wenn sie idealistisch erscheint.

Wollen wir in diese neue Geschichte eintreten, ist es unbedingt erforderlich, die Scheuklappen des Rationalismus und der Doktrin von der physischen Welt als fühllose Materie abzulegen. Unsere Vorfahren wussten, dass die physische Welt sowohl körperlich wie spirituell lebendig ist, Bäume waren Geistwesen und nicht einfach Nutzholz, und es gibt diese Lebensenergie, den einen Geist, der die ganze Schöpfung durchströmt. Sie lebten in einer durch und durch beseelten Welt, wie wir uns das kaum vorstellen können – es ist so lange her, dass wir dieses Gewahrsein in unserem Bewusstsein hielten. Doch wir können es uns nicht länger leisten, Materie gefangen zu halten, sie als Objekt zur Ausbeutung zu behandeln. Wir müssen erkennen, dass wir Teil einer lebendigen Gemeinschaft sind, eines Netzes des Lebens, allseitig verbunden und voneinander abhängig. Und dieses Netz ist mit vielfältigen Sinnen wach wie auch in einer Tiefe der Seele.

David Abram, der Philosoph und Ökologe, beschreibt diese ursprüngliche Qualität des Gewahrseins, „dass die Inuit, wie auch viele andere Völker, glauben, dass Tiere und Menschen einst dieselbe Sprache gesprochen hätten.“ Er zitiert eine Inuit-Frau:

„Am Anbeginn, als die Erde mit Menschen und Tieren bevölkert war… sprachen alle dieselbe Sprache. Es war die Zeit, da die Worte magisch waren.“

Er schreibt weiter: „Am besten erinnern sich an die heilige Ursprache jene Männer und Frauen, die als Schamanen und Medizinkundige anerkannt sind. Als solche können sie die rein menschliche Diskursebene nach Belieben verlassen, um direkt mit den andersartigen Kräften der Natur zu kommunizieren.“

Wir brauchen solch eine Fluidität des Bewusstseins, wenn wir durch die Trümmer der kommenden Jahre und ihrer selbstzerstörerischen Todesspirale wandern wollen. Wir müssen uns eine Bewusstseinsqualität zu eigen machen, die holistisch ist statt linear und die all die vielen Stimmen unserer Welt einbezieht – die menschlichen und die mehr-als-menschlichen. Und wir müssen uns mit der magischen Dimension der Schöpfung wiederverbinden, die nicht einfach Aberglaube ist, sondern die lebendige Gegenwart ihres göttlichen Wesens.

Wie ich gesagt habe, sind diese Geschichten, die ich teile, einfach, doch gleichzeitig radikal. Einfach, weil sie beschreiben, was bereits um uns herum ist, der Regen in den Bäumen, die Reiher im Feuchtland, der Duft von Jasmin. Radikal, weil sie über die Begrenzungen unseres gegenwärtigen kollektiven Bewusstseins hinaus auf eine elementar andere Art der Wahrnehmung weisen, die zu einer weit zurückliegenden Vergangenheit wie auch zu unserer möglichen Zukunft gehört. Wir können es nicht vermeiden, dass wir durch die Trümmer unserer gegenwärtigen Zivilisation gehen müssen. Wir haben zu lange gewartet und die Signale und grundlegenden Tatsachen des Klimawandels und der Umweltzerstörung ignoriert. Doch wir können gemeinsam auf eine lebendige Zukunft hinwandern, in der unser Wohlergehen und das Wohlergehen der ERDE nicht im Widerstreit sind, sondern Teil einer gemeinsamen Reise. Wir können uns auf die Ursprünglichen Weisungen besinnen, unseren Urvertrag mit der Schöpfung und an einen Ort der Zugehörigkeit zurückkehren. Das können wir tun.

Die erste in einer Folge von Geschichten, Als die Quelle frei floss, ist ein wegweisender Beitrag, der in den ersten Monaten der Pandemie entstand, und er ist auch eine zutiefst persönliche Reise, die mich mit dem ursprünglichen Bewusstsein einer in Wunder erwachenden Welt wiederverbindet – einer Wahrnehmung, die wir als Samen für die Zukunft brauchen, damit sie voll und ganz lebendig wird. Diese Geschichte beschreibt den Augenblick außerhalb der Zeit, wenn alles neu ist und zum ersten Mal gelebt wird. Kürzlich war meine vierjährige Enkelin bei mir zu Besuch, und in ihrem Lachen und Spiel und sie dabei zu sehen, wie sie eine Familie von Streifenhörnchen beobachtete, die zwischen den Felsen in unserem Garten umherwuselten, war ich wieder zurück in dieser magischen Welt, und mein Herz war glücklich.

Als die Quelle frei floss wird nächste Woche gebracht, und danach alle zwei Wochen eine weitere Geschichte. Wenn Du eine gewisse Wiederholung von Themen und sogar Sätzen findest, ist das beabsichtigt – sie sind wie Refrains. Diese Geschichten sind nicht logisch oder linear, viel eher kreisförmig. Die NATUR wiederholt sich immer, auch wenn jeder Augenblick neu ist und jedes Blatt einzigartig.

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